Unheil
Natürlich nur für einen Tag und nur zur
Beobachtung. Sind Sie sicher, dass Sie damit fertig werden?«
»Mit Ihnen?«, gab Conny kühl zurück.
Diesmal verzichtete er auf eine Antwort, aber falls es in seinem
Blick überhaupt noch so etwas wie echte Freundlichkeit gegeben hatte, dann
erlosch sie nun endgültig. Noch einmal glaubte sie Vlads Warnung lautlos in
sich widerhallen zu hören, aber auch noch eine andere, leisere und fast schon
verzweifelte Stimme, die ihr vergeblich klarzumachen versuchte, wie nahe sie
daran war, sich endgültig um Kopf und Kragen zu reden ⦠und das sogar ganz ohne
Vlads Hilfe. Und wieso auch nicht?, dachte sie spöttisch. Sie war schon immer
eine gelehrige Schülerin gewesen.
Eichholz seufzte noch einmal und tiefer, lieà den Arm endgültig
sinken und wandte sich ab. Statt den Streifenwagen herbeizuwinken, den er
gerade ins Auge gefasst gehabt hatte, gestikulierte er ebenso herrisch wie
ungeduldig zum Ende der StraÃe hin. Genau wie gerade oben in Trauschs Studio
wimmelte es auch hier von Polizeibeamten in Uniform und Zivil, von denen
scheinbar kein Einziger in ihre Richtung geblickt hatte, doch genau wie dort
verging auch hier nur der Bruchteil eines Atemzuges, bis sein Befehl ausgeführt
wurde. Ein paar Beamte liefen hektisch zu ihren kreuz und quer abgestellten
Wagen und rangierten sie zur Seite, um den Weg für einen mittlerweile ungewohnt
gewordenen, altmodischen grünweià lackierten Kastenwagen freizumachen, der ganz
am Ende der Kolonne stand und als eines von sehr wenigen Fahrzeugen das
Blaulicht abgeschaltet gehabt hatte. Seine rückwärtigen Fenster waren
vergittert, und als die beiden Türen an seinem Heck von innen geöffnet wurden,
sah Conny, dass es eine zusätzliche Abtrennung aus dicken Eisenstangen zur
Fahrerkabinen gab. So viel, dachte sie, zum Thema öffentlichkeitswirksam.
»Sie lassen mir keine andere Wahl«, sagte Eichholz, als hätte er
ihre Gedanken gelesen. »Es tut mir leid.«
Ja, das glaubte Conny ihm auf Anhieb. Sie gab ihm nicht die
Genugtuung, sie in den Wagen zu schieben oder auch nur eine auffordernde Geste
machen zu müssen, sondern trat mit einem raschen Schritt hinein und lieà sich
auf der ungepolsterten Metallbank nieder. Der Beamte, der die Türen von innen
geöffnet hatte, folgte ihr, und diesmal gelang es Eichholz tatsächlich, sie zu
überraschen: Er zwang einen zutiefst betrübten Ausdruck väterlicher Sorge auf
sein Gesicht und folgte ihr, um neben dem Streifenbeamten Platz zu nehmen. Der
Mann stand unverzüglich wieder auf und wollte die Türen von innen schlieÃen,
doch Eichholz schüttelte rasch den Kopf. »Das wird nicht nötig sein. Sie können
vorne mitfahren.«
Der Mann zögerte. Für einen Moment erschien ein Ausdruck völliger
Hilflosigkeit auf seinem Gesicht, und sein Blick irrte zwischen Eichholz und
ihr hin und her und erzählte eine Geschichte, die nur sehr wenig von der
scheinbaren Freundlichkeit und all dem Verständnis hatte, die Eichholz bisher
an den Tag gelegt hatte. »Sind Sie sicher, dass �«, begann er, und Eichholz
unterbrach ihn, nicht einmal lauter, aber hörbar schärfer.
»Ja, ich bin sicher. Frau Feisst ist immer noch eine Kollegin von
uns. SchlieÃen Sie die Tür. Von auÃen. Wir fahren ins Präsidium. Und sagen Sie
dem Fahrer Bescheid, dass er die Sirene auslässt. Wir müssen nicht noch mehr
Aufsehen erregen.«
Der Mann tat, wie ihm befohlen worden war, und Eichholz wartete
nicht nur, bis er um den Wagen herumgeeilt und auf der Beifahrerseite
eingestiegen war, sondern auch, bis sie losfuhren. Erst dann beugte er sich
ächzend vor und verzog missmutig die Lippen, wobei Conny nicht ganz sicher war,
ob es der ungepolsterten Metallbank galt, auf der er saÃ, oder ihrer
Gesellschaft, und sprach mit leiserer Stimme weiter; leise genug, um ganz
sicher zu sein, dass die beiden Männer vorne ihn nicht verstehen konnten. Natürlich
versuchten sie es trotzdem. Conny sah nicht hin, konnte jedoch ihre ebenso
neugierigen wie scheuen Blicke im Innenspiegel beinahe körperlich spüren.
»Auch wenn Sie es mir vermutlich nicht glauben«, sagte Eichholz, »es
tut mir wirklich leid.«
Da war schon wieder jene leise, immer schwächer, aber auch immer
verzweifelter werdende Stimme in ihren Gedanken, die sie davon zu überzeugen
versuchte, dass er es
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