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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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trotzdem fort und erreichte die Rückseite des Drahtverhaus, den Aisler in
eine private Folterkammer umgestaltet hatte. Die Stimmen waren lauter geworden – es waren zwei, mindestens, die in unterschiedlicher Schärfe und Tonart miteinander
redeten, ohne dass sie in ihrer Aufregung ihre Worte mitbekam –, und ihre
plötzlich so scharfen Sinne erwiesen sich nun als Fluch. Sie roch nicht nur all
die üblen und schrecklichen Dinge, die an diesem Ort stattgefunden hatten,
sondern auch die unterschiedlichen Chemikalien, mit denen ihre Kollegen von der
Spurensicherung ihre Arbeit getan hatten, den typischen Geruch einer brennenden
Kerze und noch immer und sehr viel intensiver als bisher das süße Aroma der
Furcht, vermischt mit dem allgegenwärtigen Verwesungsgestank, der mittlerweile
an ihren Kleidern, ihrer Haut und in ihrem Haar haftete. Sie war nicht sicher,
ob sie ihn jemals wieder loswerden würde.
    Auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem umrundete sie die Box,
sah sich noch einmal sichernd nach rechts und links um und schlüpfte dann
lautlos durch die Tür. Der flackernde Kerzenschein nahm an Intensität zu und
warf nun mehrere, einander überschneidende Schatten, die ihr verrieten, dass
dort drinnen mehrere Kerzen brannten, und etwas wie Weihrauch hing in der Luft,
wenn auch süßlicher, irgendwie … verdorben . Der
Verwesungsgeruch, der hier noch ungleich stärker war als draußen. Etwas bewegte
sich, in den Schatten und in ihren Augenwinkeln, doch sie wagte es nicht,
hinzusehen. Stattdessen lauschte sie konzentriert und konnte nun endlich
wenigstens ein paar Wortfetzen verstehen. »… nichts, was du dagegen tun
könntest, Opa«, sagte eine hämisch klingende Stimme. Sie lachte. »Aber eines
muss man dir lassen: Du hast Schneid. Ich hätte nie gedacht, dass du mutig
genug bist, hierherzukommen.«
    Conny schob sich ein winziges Stückchen weiter. Sie konnte jetzt
einen Blick zwischen den aufeinandergestapelten Pappkartons hindurch werfen. In
dem winzigen Ausschnitt der versteckten inneren Kammer hielten sich mindestens
zwei Personen auf, von denen sie allerdings nur eine zur Gänze erkennen konnte:
Einen vielleicht dreizehn-, oder vierzehnjährigen, blassgesichtigen Jungen in
schwarzem Leder und einer Unmenge Nieten, der eine filterlose Zigarette rauchte
und kein Make-up nötig hatte, um wie der Tod auf Latschen auszusehen. Die
zweite Gestalt drehte ihr den Rücken zu und war auf ganz ähnliche Weise
gekleidet, und obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, spürte sie, dass sie
kaum älter sein konnte.
    Â»Ich kann das nicht zulassen, Michael«, antwortete eine andere
Stimme. Sie war zu tief und zu alt, um von dem anderen Jungen zu stammen.
    Und außerdem kannte Conny sie nur zu gut.
    Aber das war vollkommen unmöglich.
    Â»Ach? Und was willst du dagegen unternehmen, Opa?«, höhnte
der Junge, paffte an seiner Zigarette und fügte mit einem abfälligen Verziehen
der Lippen hinzu: »Und nenn mich nicht Michael. Mein Name ist Mike. Merk dir
das.«
    Es war und blieb unmöglich. Conny hatte die Stimme viel zu oft
gehört, um sie nicht mit vollkommener Sicherheit und sofort wiederzuerkennen.
Trotzdem konnte es, durfte es nicht sein.
    Sie wechselte ihre Position, um einen anderen Blickwinkel zu finden,
und bedauerte fast, dass es ihr auch gelang. Es blieb unmöglich, und der
allergrößte Teil von ihr weigerte sich selbst jetzt noch, ihn zu erkennen,
obwohl sie ihm direkt ins Gesicht sah. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt
einen beigefarbenen Trenchcoat statt des leichten Sommeranzugs vom Morgen, und
sein Gesicht hatte sich grün und blau verfärbt, wo ihn Vlads Schlag getroffen
hatte, aber er sprach mit Eichholz’ Stimme, sah aus wie Eichholz und war Eichholz, auch wenn es noch so wenig Sinn ergab.
    Â»Bitte, sei vernünftig, Micha … Mike«, sagte er. »Wenn du nicht sofort
von hier verschwindest, dann kann nicht einmal mehr ich dir helfen. Du musst
hier weg! Sofort!«
    Â»Ach, muss ich das?«, höhnte Mike. »Wieso?«
    Â»Verdammt noch mal, weil sie gleich hier sein werden!«, begehrte
Eichholz auf. »Verstehst du das denn nicht?! Meine Leute sind bereits auf dem
Weg hierher!«
    Â»Dann schick sie weg«, antwortete Mike grienend. »Wozu bist du der
Chef?«
    Â»Das kann ich nicht, Michael«, sagte Eichholz traurig.
    Mike kicherte, sog an seiner

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