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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dabei?«
    Eichholz blickte sie zwei oder drei Atemzüge lang stumm
und traurig an, dann nickte er müde und griff in seine Manteltasche, um ein
Paar silberfarbener Handschellen hervorzuziehen. Conny war sich ziemlich
sicher, dass es die waren, die sie selbst vor weniger als einer Stunde getragen
hatte. Sie schüttelte den Kopf. »Legen Sie sie ihnen an. Binden Sie sie
irgendwo fest. Am besten daran.« Sie deutete auf das eiserne Bettgestell, das
noch immer an derselben Stelle lag wie bei ihrem ersten Besuch; nur dass jemand
es wieder herumgedreht und eine Anzahl roter Friedhofskerzen ringsum
aufgestellt hatte.
    Eichholz gab einen sonderbaren Laut von sich, ein Seufzen wie das
eines uralten Mannes, das zugleich wie ein nur noch mühsam unterdrücktes
Wimmern klang. Zuerst bewegte er sich gar nicht, dann jedoch tat er, was Conny
von ihm verlangt hatte, zog die Kette der Handschellen durch das massive
eiserne Bettgestell hindurch und ließ die verchromten Ringe um die Handgelenke
der beiden Jungen zuschnappen. Sie leisteten nicht den geringsten Widerstand,
aber in Mikes Augen blitzte es hasserfüllt auf. »Überleg dir lieber genau, was
du jetzt tust, Alterchen«, zischte er. »Es könnte sein, dass du das hier sonst
bitter bereust!«
    Â»Das tue ich bereits, mein Junge«, murmelte Eichholz. »Du ahnst ja
nicht, wie sehr.«
    Â»Und du hast keine Ahnung, was gleich passieren wird«, behauptete
Mike. »Du lebst überhaupt nur noch, weil ich den Meister gebeten habe, dich zu
verschonen. Aber wenn er das hier sieht, dann …«
    Conny versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, die seinen Kopf in den
Nacken warf und die Zigarette in hohem Bogen davonfliegen ließ. Sie prallte
Funken sprühend gegen die Wand aus Pappkartons und fiel zu Boden, und Conny
ging rasch hin und trat sie aus – das fehlte ihr noch, dass der ganze Laden
hier in Flammen aufging –, drehte sich danach hastig wieder um und zielte mit
der Waffe auf ihn.
    Eichholz hatte sich nicht gerührt, und er bewegte sich auch jetzt
nicht. Er schüttelte nur den Kopf.
    Â»Das wird nicht nötig sein«, sagte er.
    Conny zog es vor, nicht darauf zu antworten.. Stattdessen sagte sie:
»Ich nehme nicht an, dass Sie noch ein zweites Paar Handschellen bei sich
tragen?«
    Eichholz schwieg, und sie machte eine knappe und eigentlich
vollkommen sinnlose Geste mit der Pistole. »Aber ein Handy. Rufen Sie die
Kollegen.«
    Â»Sie sind bereits unterwegs. Eigentlich müssten sie schon hier
sein.« Eichholz griff trotzdem sehr vorsichtig in die Manteltasche, zog sein
verchromtes Designer-Handy heraus und hielt es ihr hin. Conny sah ihn
nachdenklich an und schüttelte dann nur den Kopf. Sie glaubte ihm. Eichholz
hatte nicht mehr die Kraft, sie zu belügen. Er war ein gebrochener Mann – und
das nicht erst seit jetzt. Plötzlich ergab so vieles einen Sinn, was sie bis
heute Morgen einfach nur auf die Annahme geschoben hatte, dass er eben ein
Idiot war.
    Â»Dann bleibt uns ja noch ein bisschen Zeit für ein paar Erklärungen,
nicht wahr?«, fragte sie.
    Â»Weniger, als du glaubst, blöde Kuh«, zischte Mike. Conny warf ihm
einen eisigen Blick zu, und er verstummte. Seine Augen loderten immer noch vor
Hass, obwohl er gleichzeitig sichtbar mit den Tränen kämpfte. Der Abdruck ihrer
Hand erschien langsam als rote Silhouette auf seiner leichenblassen Wange, und
sie begriff erst im Nachhinein, wie hart sie zugeschlagen hatte.
    Â»Sie werden es mir wahrscheinlich nicht glauben«, sagte Eichholz,
»aber ich bin froh, dass es vorbei ist. Sie brauchen die Waffe nicht.« Er
wartete eine Sekunde lang – vergeblich – darauf, dass sie die Pistole
herunternahm, und fuhr dann leiser und mit einem dünnen, sehr bitteren Lächeln
auf den Lippen fort: »Ich wollte das alles nicht, das müssen Sie mir glauben.
Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht wehtun. Aber ich hatte keine Wahl.«
    Conny glaubte ihm. Sie wollte es nicht. Alles in ihr weigerte sich einfach, ihm auch nur eine Spur von
Menschlichkeit zuzubilligen oder gar so etwas wie Gefühle ,
doch sie spürte zugleich auch, dass er die Wahrheit sagte. Und sie spürte
seinen Schmerz. Keinen körperlichen Schmerz, sondern die Qualen, die seine
Seele litt, und die hundertmal schlimmer waren. Sie schmeckten unglaublich süß.
Statt ihm ihren Hass und ihre Verachtung entgegenzuschleudern, wie sie

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