Unheil
es
eigentlich gewollt hatte, wurde ihre Stimme weicher. Sie machte eine
Kopfbewegung in Richtung Mike.
»Er hat sie nicht ohne Grund Opa genannt,
habe ich recht?«
»Nein.« Eichholz seufzte. Es klang wie ein kleiner Schrei. »Michael
ist mein Enkel. Mein einziger Enkel. Ich wusste nichts davon, bitte glauben Sie
mir. Ich ⦠habe das alles erst erfahren, nachdem Aisler tot war und wir damit
begonnen haben, sein Umfeld zu durchleuchten.«
»Der Meister ist nicht tot!«, fauchte Mike. »Er kann nicht sterben.«
Conny brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Verstummen, bedeutete
Eichholz mit einem auffordernden Nicken, fortzufahren, und bemerkte plötzlich
selbst, wie lächerlich die Pistole in ihrer Hand war. Sie steckte sie ein.
»Es sind doch nur dumme Jungs, Conny«, fuhr Eichholz fort. Er klang
jetzt fast flehend, pure Verzweiflung. »Sie sind doch noch Kinder!«
Conny dachte an ein Kind , das mit einer
Magnum auf sie gezielt hatte, und an ein anderes mit einem zwanzig Zentimeter
langen Springmesser, das nichts lieber getan hätte, als ihr die Klinge in den
Leib zu rammen. Ihr Verstand sagte ihr, dass Eichholz recht hatte, aber da war
auch noch eine andere, mächtigere Stimme in ihr, die ihr klarmachte, wie sehr
er sich irrte.
»Kinder?«, wiederholte sie bitter.
»Ja, verdammt noch mal, Kinder!« Der Klang von Eichholzâ Stimme
passte nicht zur Wahl seiner Worte. Er versuchte einfach nur, sich selbst von
etwas zu überzeugen, von dem er tief in sich ebenso gut wusste wie sie, dass es
nicht stimmte. »Kinder, die mit dem Feuer spielen und nicht einmal merken, wenn
sie sich verbrennen! Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt! Sie wussten nichts von
dem, was Aisler getan hat! Sie haben es selbst erst aus der Zeitung und dem
Fernsehen erfahren, aber da war es zu spät!«
Es ist niemals zu spät, um umzukehren, wollte Conny sagen, begriff jedoch gerade noch rechtzeitig, wie albern das in
dieser Situation geklungen hätte, und schwieg. Die Zeit für Plattitüden war
endgültig vorbei. Sie setzte zu einer anderen und sanfteren Antwort an, doch in
diesem Moment drang ein fernes, unendlich leises Wimmern an ihr Ohr. Das
Geräusch einer Polizeisirene. Nein. Mehrerer. Eichholz hatte die Wahrheit
gesagt. Die Kavallerie kam. Sie spürte nichts als Erleichterung. Wäre der
Leichengestank nicht mittlerweile auch hier drinnen beinahe unerträglich
gewesen, hätte sie aufgeatmet.
»Und da haben Sie beschlossen, mich zu opfern, um ihren Enkel zu
retten.« Ihre Stimme klang nicht so bitter, wie sie es sich gewünscht hätte.
Ein Teil von ihr hasste ihn, weil er ihr all das angetan hatte, während ein
anderer Teil von ihr, den sie vergeblich zum Schweigen zu bringen versuchte,
ihn sogar verstehen konnte. Das war absurd.
»Mir blieb nichts anderes übrig«, sagte Eichholz leise. »Er ist mein
Enkel. Mein Fleisch und Blut.«
Der Verwesungsgestank wurde plötzlich noch stärker und hüllte sie
ein wie eine klebrige Wolke. Saurer Speichel sammelte sich immer rascher unter
ihrer Zunge und lieà sie zusätzlich würgen, und die Luft, die sie atmete,
schien plötzlich wie mit rostigen Rasierklingen in ihre Kehle zu schneiden.
Aber sie war nicht einmal sicher, dass er allein der Grund für die Ãbelkeit
war, die sie plötzlich verspürte. Trotz allem musste sie mit einem Mal fast
ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um nicht die Pistole zu ziehen und ihm ins
Gesicht zu schieÃen.
Das Geräusch der Polizeisirenen wurde lauter und war nun
offensichtlich auch für die weniger scharfen Ohren der anderen hörbar. Mike
legte den Kopf auf die Seite. Seine Augen wurden schmal.
»Nur noch eine Frage, bevor die Kollegen da sind«, murmelte Conny.
»Was hätten Sie getan, wenn das hier nicht passiert wäre? Zugesehen, wie ich
ins Gefängnis gehe und dort versauere?«
Eichholz sah sie nur traurig an, doch Mike sagte: »WeiÃt du was,
SüÃe? Ich glaube, das ist im Augenblick deine
geringste Sorge.«
Conny wog für eine Sekunde ernsthaft die Möglichkeiten gegeneinander
ab, ihn einfach mit einem weiteren, eisigen Blick zum Verstummen zu bringen
oder dem roten Handabdruck auf seiner rechten Wange das passende Gegenstück auf
der anderen Seite hinzuzufügen, aber da war plötzlich etwas in seinen Augen,
das sie alarmierte. Sie schwammen immer noch in den Tränen, die er nicht
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