Unheil
schwöre, nicht zu gucken.« Als ob es da noch
allzu viel zu sehen gäbe, schien sein Blick hinzuzufügen. Vielleicht
wollte sie auch nur, dass es so war. Sie sagte vorsichtshalber gar nichts.
Trausch ging hinaus und reichte ihr die Tasche natürlich nicht
albern durch den Türspalt herein, sondern kam nach einem Augenblick zurück und
stellte sie mitten im Zimmer ab, und er war auch diskret (haha) genug, um
drauÃen vor der Tür zu warten, bis sie sich angezogen und zu ihm auf den Gang
hinausgetreten war. Und er hatte ganz offensichtlich noch mehr getan, denn
Schwester Drachenzahn wartete ebenfalls auf sie, allerdings nicht, um ihrem Ruf
gerecht zu werden und ihr irgendwelche Grausamkeiten anzutun, sondern um ihr
etwas anzulegen, das wie eine Kreuzung aus einer Schlinge und einer filigranen
Stützkonstruktion aussah, in die sie ihren bandagierten Arm legen konnte.
Zehn Minuten später saÃen sie in Trauschs betagtem BMW und rollten vom Parkplatz der Klinik, und weitere zehn Minuten darauf brach Conny das verbissene
Schweigen, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, ohne dass einer von
ihnen eigentlich einen Grund dafür nennen konnte. »Vielen Dank, dass Sie mich
gerettet haben.«
»Vor Schwester Drachenzahn?« Er sah in den Spiegel, während er antwortete,
tippte auf das Gaspedal und huschte im letzten Moment über eine gelbe Ampel,
was eigentlich gar nicht seine Art war.
»Vor dieser ganzen Klinik«, antwortete sie. »Ich hasse
Krankenhäuser.«
»Das geht den meisten so«, sagte Trausch. »Das haben Krankenhäuser
und wir gemeinsam.«
»Was?«
»Alle haben irgendwie ein bisschen Angst davor, und eigentlich kann
sie niemand leiden«, antwortete Trausch. »Aber wenn man sie braucht, dann sind
alle verdammt froh, dass es sie gibt ⦠und wenn sie ihren Dienst getan haben,
dann fängt man an zu meckern und sucht tausend Gründe, um über sie herzuziehen.
Oder sie am besten gleich zu verklagen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so defätistisch sein können.«
»Realistisch, Conny«, seufzte er. »Auch wenn das in diesem Fall so
ziemlich dasselbe ist.« Er linste wieder in den Spiegel, nahm eine Kurve mit
quietschenden Reifen, und Conny runzelte demonstrativ die Stirn. Trausch war
normalerweise ein sehr besonnener Fahrer, der es hasste, sich so zu benehmen.
Sie drehte sich umständlich auf dem Sitz herum und warf einen Blick durch das
Heckfenster.
»Werden wir verfolgt?«
»Wahrscheinlich nicht.« Trausch gab noch mehr Gas und erwischte die
zweite Ampel beim allerletzten Hauch von Gelb. »Aber man kann nie wissen.
Gestern Abend haben Sie einen von diesen Presseheinis erwischt, der sich als
Arzt verkleidet hat und sich in Ihr Zimmer schleichen wollte.«
»Sie?«
»Das Krankenhauspersonal. Schwester Drachenzahn.«
»Der arme Kerl«, sagte Conny mitfühlend.
»Ja, er kann einem wirklich leidtun, nicht wahr?«, pflichtete ihr
Trausch mit säuerlichem Gesichtsausdruck bei. »Oder könnte es, wenn die Kerle
nicht allmählich zu einer Pest würden.«
»So schlimm?«
»So schlimm«, bestätigte Trausch. Er schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Eichholz hat gestern eine Pressekonferenz abgehalten. Wir haben gehofft,
hinterher wäre ein bisschen Ruhe, aber es war eher andersherum.« Er bedachte
sie mit einem fragenden Blick. »Sie haben den Fernseher nicht eingeschaltet?«
Doch, das hatte sie. Allerdings nur, um festzustellen, dass das, was
er ihr vorhergesagt hatte, keineswegs über- sondern eher unter trieben
gewesen war. Ganz gleich, auf welchen der wenigen Sender, die das
eingeschränkte Krankenhausprogramm hergab, sie geschaltet hatte â spätestens in
dem Moment, in dem die Nachrichten begannen, hatte sie ihr eigenes Konterfei
vom Bildschirm herab angegrinst. Nicht etwa ein aktuelles Foto oder eine
Aufnahme, die irgendjemand mit dem Teleobjektiv während des Einsatzes von ihr
geschossen hatte ⦠irgendjemand musste ihnen eine Kopie ihres Dienstausweises
zugespielt haben. Das Foto darauf war gute zehn Jahre alt und schon damals
grottenschlecht gewesen; eines jener typischen Verbrecherfotos, wie man sie auf
nahezu allen Ausweis- oder Führerscheindokumenten fand. Es wurde ihr nicht
gerecht; obwohl gerade einmal knapp über dreiÃig, sah sie darauf deutlich
älter, verbissener und unattraktiver aus als heute. Sie
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