Unheil
mich diese
Kerle Gott sei Dank noch nicht gebracht, dass ich anfange, solche
ScheiÃhausparolen zu unterschreiben. Noch nicht.« Er schnaubte wütend. »Aber
man fängt schon an, die Dinge ein bisschen anders zu sehen, wenn man ein totes
Mädchen aus einem Müllcontainer gezogen hat.«
Conny sagte ganz bewusst nichts dazu, aber sie spürte selbst, dass
sie ein leises Zusammenzucken nicht ganz unterdrücken konnte, und Trausch sah
plötzlich ein bisschen schuldbewusst aus.
»Verzeihung«, sagte er. »Das war pietätlos. Es tut mir leid. Sie
haben das Mädchen gekannt.«
»Schon gut«, antwortete Conny rasch.
Seit ihrer ersten Begegnung mit Vlad hatte alles andere im
Mittelpunkt gestanden, nur nicht der Grund, warum sie selbst so verbissen
hinter dem Vampir her war. Natürlich hatte sie Leas Schicksal nicht vergessen,
das würde nie passieren, aber sie hatte es in den Hintergrund gedrängt,
dorthin, wo all das Grauen hingehörte, mit dem sie bei klarem Verstand nicht fertig
wurde.
Sie hatte das Mädchen nicht einfach nur gekannt , wie Trausch es jetzt ausgedrückt hatte . Lea war die Tochter einer Freundin gewesen. Vielleicht
nicht ihrer besten Freundin â wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie
keine beste Freundin . Sie kannten sich noch aus der
Schule, und anders als die meisten Schulfreunde hatten sie sich nicht allen
gegenteiligen Versprechungen und Schwüren zum Trotz nach dem Abitur aus den
Augen verloren, sondern waren zwar getrennte Wege gegangen, hatten aber über
all die Jahre hinweg einen losen Kontakt aufrechterhalten und sich immer wieder
einmal gesehen. Ja, sie hatte Lea gekannt, wie man
eben die Tochter einer Frau kennt, die man zwei- oder dreimal im Jahr sieht ⦠und dabei wäre es wahrscheinlich auch geblieben, hätte das Schicksal â oder
eine Laune des Zufalls, falls es da überhaupt einen Unterschied gab â nicht
entschieden, dass ausgerechnet sie in jener Nacht Bereitschaftsdienst hatte, in
der das erste Opfer des Vampirs gefunden wurde.
Beim ersten Anblick hatte sie sie nicht einmal erkannt. Es war nur
ein weiteres bestialisch abgeschlachtetes Mädchen gewesen, das ihre Kollegen
aus einem Altpapiercontainer gezogen und zur ersten Untersuchung daneben auf
eine Decke gebettet hatten, ein Mädchen, dem das Grauen ins Gesicht geschrieben
stand. Vielleicht lag es an dem verzerrten Gesichtsausdruck und dem Ausdruck
von Panik in den gebrochenen Augen, dass sie sie zunächst nicht erkannt hatte,
vielleicht aber auch daran, dass sie sie nicht hatte erkennen wollen . Erst, als sie Leas Personalausweis mit spitzen
Fingern in den Händen gehalten hatte, hatte sie wirklich begriffen, um wen es
sich bei der Toten handelte.
Um das Mädchen, das sie vom Kleinkind zur jungen Frau hatte
heranwachsen sehen.
Natürlich hatte sie selbst die traurige Pflicht übernommen, Sylvia
vom Tod ihrer einzigen Tochter zu unterrichten; der vielleicht schwerste Moment
ihres ganzen Lebens. Sie wusste nicht, wer mehr geweint hatte, Sylvia oder sie,
aber Connys Tränen waren zuerst versiegt, und aus ihrem Schmerz war zuerst Zorn
und dann eine kalte, stählerne Entschlossenheit geworden. Seitdem hatte es für
sie gar keine andere Möglichkeit mehr gegeben, als den Vampir selbst zu fassen.
Sie war es Sylvia â und noch viel mehr sich selbst â schuldig.
»Tut mir leid«, sagte Trausch noch einmal. »Ich wollte nicht â¦Â«
»Doch, wollten Sie«, unterbrach ihn Conny. »Und das ist auch völlig
in Ordnung. Lektion Nummer eins: keine persönlichen Gefühle.« Trausch sah
plötzlich irgendwie ⦠unglücklich aus, fand sie. Er suchte krampfhaft nach etwas,
um sich aus der Affäre zu ziehen, aber ganz offensichtlich fand er es nicht.
Das Klingeln seines Handys rettete ihn. Trausch griff fast hastig in
die Jackentasche, und der BMW vollführte einen
ruckhaften Schlenker, während er das Gerät ungeschickt aus der Tasche grub.
Jemand hupte wütend.
Vollkommen unvorschriftsmäÃig (und untypisch für ihn) klappte er das
Gerät auf und hielt es ans Ohr, während er mit der linken Hand weiterlenkte. Er
sagte nur einige wenige Worte, hörte aber eine ganze Weile zu, und Conny musste
nicht fragen, um zu wissen, dass es in diesem Gespräch zumindest zum Teil um
sie ging. Er sah so ziemlich überallhin, nur nicht in ihre Richtung.
SchlieÃlich klappte er den
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