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Unheil ueber Oxford

Unheil ueber Oxford

Titel: Unheil ueber Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Briony Townsend, die Witwe von Chris. Sie ist noch völlig neben der Spur, die Ärmste. Bei der anderen handelt es sich um Honor Flint, die Frau des Rektors«, antwortete Emma. »Ein Wahnsinns-Charakter. Der Mann ist der Gärtner des Colleges, Dave Evans, und der Jüngere sein Lehrjunge Barry. Die arme Mrs Flint hat ziemliche Schwierigkeiten, Mr Evans ihre Vorstellungen nahe zu bringen. Er hat sich früher um einen der großen Stadtparks gekümmert, und ich glaube nicht, dass ihm der Name Gertrude Jekyll ein Begriff ist.«
    »Gertrude wie?«, fragte Kate, während sie Emma durch einen Torbogen folgte. Vor ihnen lag eines der Gebäude, die den Pesant-Hof begrenzten, zu ihrer Linken erhob sich der Tower of Grace.
    »Müssen wir wirklich da hinein?« Sie standen im Schatten. Ein kühler Luftzug strich über Kates Haut. Sie mochte keine Türme. Vielleicht war es ihre Höhe, vielleicht aber auch ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem sie umgebenden sterblichen Leben.
    »Auf jeden Fall. Das darfst du nicht verpassen. Von hier aus ist es der schnellste Weg zur Kapelle. Du musst dir unbedingt unseren Adam und unsere Eva ansehen. Sie wirken so dünn und so unschuldig, und sie bedecken sich züchtig mit Feigenblättern, obwohl erst der Sündenfall ihnen die Augen für ihre Nacktheit öffnete.«
    Innen im Turm war es dunkel. Einen Moment lang sah Kate überhaupt nichts, sondern nahm nur den Geruch von Staub und feuchter Luft wahr, der oft in alten Steingebäuden hängt.
    Emmas Tritte klangen laut auf dem Steinboden. »Es werde Licht«, befahl sie und tastete nach dem Schalter.
    Viel ist es nicht, dachte Kate. Der Schimmer verlor sich unter der hohen, dunklen Decke. Ihre Augen wurden von der schwachen Lichtquelle angezogen. Es war ein kleines, diskret von oben beleuchtetes Gemälde, das auf diese Weise sanft vor der dunklen Wand zu glühen schien.
    Sie traten näher. »Das ist die Versuchung, von der ich dir eben erzählt habe.«
    Eine dünne, weißhäutige Eva mit scheuem Ausdruck auf dem herzförmigen Gesicht reichte dem verblüfft dreinblickenden Adam einen perfekten Apfel. Mit der anderen Hand zog sie einen Zweig des Baumes zu sich hinunter. Eine gekrümmte Schlange hing herab. Sie schien die Tat gutzuheißen. Um das Paar herum stand und kroch eine Reihe von Tieren, denen Adam vermutlich Namen gegeben und damit Macht über sie erworben hatte.
    »Adam blickt ziemlich verwundert drein«, bemerkte Kate. »Aber der arme Kerl sieht auch nicht gerade intelligent aus, oder?«
    »Jedenfalls nicht im Vergleich mit Eva.«
    »Noch nicht einmal im Vergleich mit diesem zahmen Rentier da. Und warum sieht der Apfel exakt aus wie Evas Brust? Warum wiederholen sich die Kurven ihres Körpers in der Krümmung der Schlange? Will der Künstler uns möglicherweise etwas über die bösartige Natur der Frauen und ihre Affinität zur Sünde schlechthin mitteilen? Schlägt sich hier etwa die frauenfeindliche Haltung eines vergangenen Jahrhunderts nieder?«
    »Hör auf, dich so naiv zu geben, Kate. Du kannst von einem deutschen Maler des sechzehnten Jahrhunderts nicht erwarten, dass er mit den Augen einer Frau des zwanzigsten Jahrhunderts malt.«
    »Die interessantere Frage ist eher die nach der Natur der Versuchung und der Rolle der Frau bei der ganzen Angelegenheit«, kam eine Stimme aus der Finsternis hinter ihnen. Emma und Kate drehten sich um.
    »Ah«, sagte Emma. »Das ist Dr. Beeton.«
    Kate konnte lediglich sehen, dass Dr. Beeton weiblichen Geschlechts, schmal gebaut und dunkelhaarig war; mehr war nicht zu erkennen.
    »Haben Sie die Gnostiker gelesen?«, fragte Dr. Beeton.
    »Das ist schon länger her«, sagte Kate. Dabei hoffte sie inständig, dass keine weitere Frage folgen und ihre Unwissenheit offenkundig machen würde.
    »Sie sollten es zu diesem Thema mal mit Pagels versuchen.«
    »Werde ich tun«, versprach Kate verwirrt.
    Sie wandte dem politisch unkorrekten Gemälde den Rücken zu, um durch den Turm in die Kapelle zu gehen, als ihr Blick von einem anderen Bild auf der gegenüberliegenden Wand angezogen wurde. Es war weniger gut ausgeleuchtet, dafür aber bunter.
    Im Zentrum des Gemäldes befand sich eine große Gestalt mit blauen Flügeln und goldenem Gesicht, die ein Schwert vor sich hielt, aus dem Flammen nach oben züngelten. Was mochten die weißen, fedrigen Auswüchse auf seiner – ihrer? – Stirn darstellen?, überlegte Kate. Zu seiner Linken standen zwei kleine, unbedeutende, mit Gürteln aus Feigenblättern verhüllte

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