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Unheil ueber Oxford

Unheil ueber Oxford

Titel: Unheil ueber Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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»Da ist die Christ Church. Und der Merton Tower.«
    Kate hielt der Aussicht den Rücken zugewandt und studierte die nächstgelegene Zinne.
    »Die Universitätskirche«, fuhr Emma mit ausgestrecktem Zeigefinger enthusiastisch fort. »Und da: die Radcliffe Camera.« Sie drehte sich um und sah nach, ob Kate ihr folgte. Kate hob die Augen gerade so weit, dass sie einen der Wasserspeier ins Blickfeld bekam.
    »Siehst du All Souls? Und die Bodleian?« Emmas Stimme war schmeichelnder geworden.
    Kate drehte sich langsam so weit um, dass sie die Baumwipfel des Dozentengartens und die drei Seiten des Pesant-Hofes erkennen konnte. Ein leichter Wind, den sie unten nicht bemerkt hatte, zerzauste ihr Haar und trieb sie in Richtung Abgrund. Sie spürte die erste leichte Herbstkühle. Herbst, Sturz, Tod – die Worte rasten durch ihren Kopf. Sie kniff die Augen zu. »Wirklich nett«, murmelte sie, während sie die Balustrade vor sich fest umklammert hielt. Sie fühlte körnigen Stein und eine unebene, moosbewachsene Oberfläche. »Balustrade!«, fuhr es ihr plötzlich durch den Sinn. Sie öffnete die Augen. Hier war der Unfall geschehen. Für einen Moment vergaß Kate ihre Angst und untersuchte die Brüstung. Sie war ziemlich breit und reichte ihr bis zur Taille. Die Säulen standen zu dicht beieinander, als dass selbst ein sehr dünner Mensch dazwischen hätte hindurchschlüpfen können. Er musste also über die Brüstung gestürzt sein. Wie groß war Chris Townsend gewesen? War es überhaupt möglich, dass er versehentlich über die Balustrade gekippt war? Bei dem Gedanken wurde Kate sofort wieder vom Schwindel gepackt. Es war besser, sich auf die Aussicht zu konzentrieren und möglichst schnell zu vergessen, dass jemand genau von diesem Punkt aus in den Tod gestürzt war.
    Vorsichtig tastete sie sich an Emma heran. Wie eine metallische Schlange drängte sich der Verkehr in der High Street. Sie blickten auf die Dächer der Geschäfte hinunter. Auf der gegenüberliegenden Seite konnten sie die Colleges und Bibliotheken sehen. Rechts unten erkannte Kate das Stückchen Bürgersteig, wo sie Füllhalter bewundert hatte und dabei immer wieder angerempelt worden war. Sie sah den Gärtnergehilfen Barry, der mit seiner inzwischen leeren Schubkarre die High Street überquerte und zum College zurückkehrte. Einen Moment lang fragte sie sich, wo sich Dave Evans’ Gewächshaus befinden mochte. Es schien ziemlich weit vom Garten entfernt zu sein, aber vermutlich wusste er, was er tat.
    Hier oben, fast in den Wolken, fühlte sie sich wie auf einer einsamen Insel – wie abgeschnitten vom wirklichen Leben der Stadt. Auf einer Insel mit einem Gespenst, dachte sie. Von welcher Seite des Turms war er gefallen? Sie sah eine Gestalt vor sich, die ausglitt, stürzte und sich in der Luft überschlug, ehe sie … Sie schloss die Augen, um das Bild zu verbannen.
    Emma beugte sich über die Brüstung und zeigte hinunter. »Der Turm des Magdalen Colleges«, sagte sie. »Lehn dich über das Geländer, Kate. Du musst ihn aus diesem Winkel ansehen. Und du siehst ihn noch besser, wenn du die Augen aufmachst«, fügte sie hinzu.
    »Ja, wirklich hübsch«, sagte Kate, beschattete ihre Augen mit der Hand und tat, als würde sie hinschauen.
    »Glaubst du, du schaffst es, deine Gruppe hier hinaufzubringen?«, fragte Emma zweifelnd. »Du musst ihnen schließlich erklären können, was sie da sehen.«
    »Ach, bestimmt gewöhne ich mich schnell daran.« Sie hegte die feste Absicht, ihre Angst zu besiegen. Dabei fragte sie sich, ob auch Christopher Townsend unter Höhenangst gelitten hatte. Gab es außer ihr überhaupt noch andere Menschen, denen bei Höhen über drei Metern schwindelig wurde? Wenn sie regelmäßig auf Türme stiege, würde sie möglicherweise eines Tages sogar Gefallen daran finden. Oder auch nicht.
    »Könnten wir jetzt hinabsteigen? Ich schaue mir die Karte an und präge mir alle wichtigen Bauwerke ein. Versprochen.« Sie begannen mit dem Abstieg über die schmale Wendeltreppe. »Ich mache mich so schlau, dass ich alle Fragen blind beantworten kann.« Oder mit geschlossenen Augen.
    »Prima. Als Nächstes zeige ich dir die Seminarräume. Wir können durch den Pesant-Hof zu den neuen Gebäuden hinübergehen.«
    Natürlich hatte Emma Recht: Christopher Townsends Tod war ein Unfall unter Alkoholeinfluss gewesen. Sie wollte es nur nicht wahrhaben, weil er sie mit seinem Aussehen und seinem Lächeln bezaubert hatte. Leider musste Kate sich eingestehen,

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