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Unheil ueber Oxford

Unheil ueber Oxford

Titel: Unheil ueber Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Menschlein, zu seiner Rechten kringelte sich eine größer und wilder aussehende Schlange als auf dem Versuchungs-Bild. Um die Gestalten herum wucherten vielfarbige Blüten, die Dave Evans sicher gefallen hätten; unter ihren Füßen lagen fantasievoll gestaltete Blätter und Gräser.
    »Nach dem Sündenfall«, erklärte Emma. »Adam und Eva werden aus dem Garten Eden verstoßen.«
    »Und wer ist der Typ mit dem leuchtenden Gesicht und dem Flammenschwert?«
    »Gott stellte einen Cherub als Wächter vor das östliche Tor des Garten Eden, um die Menschen für immer an der Rückkehr zu hindern«, antwortete Dr. Beeton, die offenbar immer noch bei ihnen war. »Dass es ein Cherub ist, sieht man an den blauen Flügeln.«
    »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass der Garten Eden der Menschheit für immer verloren ist. Mit ein paar bunten Blumen würde der Dozentengarten, durch den wir eben gekommen sind, dem dort auf dem Bild durchaus ähneln – obwohl ich mir Honor Flint und Dave Evans nicht unbedingt als Adam und Eva vorstellen kann.« Missbilligend blickte der Cherub aus dem Rahmen herab.
    »Manchmal frage ich mich, was Eva wirklich von der Vertreibung aus dem Paradies hielt«, ließ sich Dr. Beeton vernehmen. »Könnten Sie sich vorstellen, dass sie sich vielleicht insgeheim freute, Gott und seinen Garten hinter sich zu lassen und zusammen mit Adam ein eigenes Leben zu wagen?«
    »Unter diesem Aspekt habe ich noch nie darüber nachgedacht«, antwortete Kate. »Aber ich finde, sie wirkt durchaus wie eine kleine Ränkeschmiedin.«
    »Darf ich vorstellen?«, sagte Emma ziemlich verspätet. »Dr. Beeton, das ist Kate Ivory. Sie arbeitet in der Organisation unseres Workshops mit.«
    »He, ich dachte, dass ich auch ein paar Seminare leite. Und einen Kurs für Kreatives Schreiben«, zischte Kate.
    »Ach, der Workshop!«, entfuhr es Dr. Beeton ohne sonderliche Begeisterung. »Nun, dann nehme ich an, wir sehen uns demnächst öfter.« Mit diesen Worten verschwand sie in der Dunkelheit, aus der sie aufgetaucht war.
    »Könnten wir jetzt vielleicht gehen?«, fragte Kate.
    »Gehen? Wir sind doch gerade erst gekommen. Und du hast die bunten Glasfenster in der Kapelle noch nicht gesehen!«
    »Mir ist klar, dass ich dir für die Führung dankbar sein müsste, Emma, aber ich fühle mich hier einfach nicht wohl.« Sie spannte die rechte Schulter an, als könne sie so die kühle, abgestandene Luft loswerden, und wandte sich von dem zweiten Gemälde ab.
    »Wieso?«
    »Hier riecht es nach Tod.«
    »Wie bitte? Ach so, du meinst Chris Townsend. Mach dich nicht lächerlich! Deshalb brauchst du wirklich keine Gänsehaut zu bekommen. Es war eben ein Unfall. Der Mann hatte zu viel getrunken und war nicht mehr sicher auf den Beinen. Natürlich ist es tragisch, aber solche Dinge geschehen jeden Tag. So, und jetzt steigen wir auf den Turm. Die Aussicht ist traumhaft!«
    Emma hatte einen Schlüssel hervorgezogen und öffnete eine schwere Eichentür. Kate erblickte eine schmale Wendeltreppe aus Stein, die sich nach oben in die Dunkelheit verlor. Die Stufen waren von Generationen akademischer Füße in der Mitte ausgetreten worden. Natürlich hatte Emma Recht. Warum sollte sie sich Sorgen um einen Toten machen, der einem Unfall zum Opfer gefallen war? Dunkelblaue Augen und ein gut geschnittenes Kinn – sie erinnerte sich.
    »Ich habe ein bisschen Höhenangst. Vielleicht sollte ich lieber hier unten bleiben.«
    »Quatsch! Es gehört zu deinen Aufgaben, die Gruppe im College herumzuführen, und die Turmbesteigung ist nun mal der Höhepunkt der Besichtigung. Man kann von da oben ganz Oxford überblicken. Nun mach schon!«
    Emma gehörte nicht zu den Menschen, denen man seine Höhenangst gestehen konnte. Selbst Emmas eigene Kinder durften weder Furcht vor Dunkelheit noch vor bösartigen Hunden oder dem Zahnarztbohrer zeigen; für Kates kleine Unzulänglichkeit würde Emma sicher kein Mitgefühl aufbringen. Also folgte sie Emma die Wendeltreppe hinauf. Die Hand immer fest an der Mauer, hielt sie sich dicht hinter ihrer Führerin. Emma war nicht besonders fit, daher hatte Kate wenigstens keine Mühe, Schritt zu halten.
    Sie kamen durch einen Raum, in dem Glockenseile durch die Decke herabhingen. Triebkränze an den Wänden zeugten von den komplizierten Geläuten, die in der Vergangenheit erklungen waren. Nach kurzer Atempause ging es weiter aufwärts, bis sie eine schmale Tür erreichten, durch die sie auf das Dach traten.
    »Schau mal«, sagte Emma.

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