Unheil ueber Oxford
nicht da.
An den Ufern wurde gepicknickt. Familien mit Kindern lagen im Gras oder warfen einander Frisbee-Scheiben zu. Hunde tobten herum. Ab und zu tuckerte ein Boot mit Außenbordmotor flussaufwärts. Es war eine geradezu klassische englische Atmosphäre, dachte Kate. Bäume und Flussufer prunkten in allen Schattierungen von Grün, der Fluss changierte zwischen grau und braun, und an den Ufern ergingen sich Frauen in hellen Baumwollkleidern, deren Haar in der heißen Septembersonne schimmerte.
»Sagen Sie«, rief eine der Studentinnen ihr zu – hieß sie nicht Sharen Cobb? –, »wie ordnen Sie die Entwicklung des historischen Romans im Zeitalter der Postmoderne ein?«
Kate öffnete die Augen und dachte über die Frage nach. Am Ufer saß ein Pärchen und trank Weißwein aus einer kühl beschlagenen, grünen Flasche. Die beiden kamen Kate irgendwie bekannt vor, doch sie zog es vor, den Teil ihres Gehirns, der noch wach und funktionstüchtig war, Sharens Frage zu widmen. »Ich bin der Meinung, dass der Genreroman insgesamt von den Strömungen der Moderne und Postmoderne unberührt geblieben ist und weiterhin dem Mainstream des Realismus im neunzehnten Jahrhundert folgt«, begann sie und wiederholte damit eine Aussage, die sie von Faith Beeton gehört hatte.
Die ersten Boote hatten bereits das Weidendickicht in der Nähe des Picknickplatzes erreicht und wurden an den vorgesehenen Stellen vertäut. Mit knirschenden, arthritischen Gelenken kletterten die nicht mehr ganz taufrischen Studenten von »Geschlecht und Genre« an Land und folgten einem Pfad über die mit Butterblumen übersäte Wiese zu den Klapptischen, die blütenweiß eingedeckt waren. Ihre Schritte beschleunigten sich, und ihre Augen strahlten, als sie die Ansammlung gekühlter Weinflaschen auf einem der Tische entdeckten.
Kate schenkte ihren Schutzbefohlenen ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie hatte sich bewusst in das letzte Boot gesetzt, um sofort zur Stelle sein zu können, falls einer der Teilnehmer zufällig ins Wasser fallen sollte. Jetzt erkannte sie, dass eine erheblich größere Gefahr darin bestand, dass sie auf den rutschigen Ufern ausglitten und im seichten Matsch stecken blieben.
»Wenn wir uns vor allem auf Wilkie Collins und Charles Dickens konzentrieren«, fuhr Kate fort und hoffte, Sharen so zu langweilen, dass sie endlich den Mund hielt, »dann erkennen wir …«
Sie achtete so ängstlich darauf, dass beim Aussteigen niemandem – noch nicht einmal Martha – etwas passierte, dass sie das kleine, schnelle Boot mit starkem Außenbordmotor nicht bemerkte, das von stromaufwärts her unmittelbar auf sie zuhielt.
Alles geschah unglaublich schnell, erzählte sie Paul später, und war im Nu wieder vorbei.
Während sie sich noch über das Thema Genreroman verbreitete und Martha beobachtete, die sich unsicher an der Bootswand entlangtastete, nach einem Weidenzweig griff und sich ans Ufer zog, wurde ihr eigener Kahn plötzlich herumgerissen und wild schaukelnd in die Strömung abgetrieben.
Zwei Sekunden später lag Kate im Wasser.
Das Wasser fühlte sich erstaunlich kalt an, vor allem im Kontrast zu dem warmen, sonnigen Tag. Kate hatte bereits eine ordentliche Portion der schlammigen Brühe geschluckt, ehe sie verstand, was da gerade geschehen war. Sie begann mit Wassertreten. Ihre Füße streiften den Kies des Flussbettes. Hinter ihr röhrte der Außenborder. Er kam näher. Plötzlich spürte sie eine starke Hand auf dem Kopf, die sie nach unten in den modrigen Grund drückte. Dieses Mal besaß Kate allerdings die Geistesgegenwart, die Luft anzuhalten, und kam schnell wieder nach oben. Das Motorboot verschwand hinter der nächsten Flussbiegung. Eine nicht identifizierbare Gestalt in dunkelblauem Trainingsanzug duckte sich tief über das Steuer. Mann? Frau? Kate war nicht in der Lage, etwas zu erkennen. Schwimmend und wassertretend half sie dem jungen Mann, der das Boot gelenkt hatte, den Kahn wieder aufzurichten, und überprüfte, ob die drei anderen Passagiere aus dem Wasser geklettert und sicher am trockenen Ufer gelandet waren.
»Wer das getan hat, kennt mich nicht«, sagte sie später zu Paul. »Ich mag ja vielleicht unter Höhenangst leiden, aber im Wasser weiß ich genau, was ich zu tun habe. Oder glaubst du, sie wollten mir nur einen Denkzettel verpassen?«
»Kann ich dir nicht sagen«, erwiderte er. »In Oxford wird es vermutlich hunderte von Menschen geben, die sich danach sehnen, Kate Ivory zu ertränken.«
»Mehr Ernst,
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