Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
sich damit, gute Nachbarn mit weitgehend gleichen Interessen zu sein.
In praktischen Dingen jedoch, und was alltägliche Verrichtungen wie Einkaufen und anderes mehr betraf, war Dr. von W. auf Hilfe angewiesen. Was nicht verwunderte, musste er sich doch nie um derart profane Angelegenheiten sorgen. Zu früheren Zeiten erledigte das entweder das Hauspersonal oder seine Ehefrau, die eine eigene Steuerkanzlei betrieb, bevor sie für einige Jahre nach Indien und anschließend nach Australien gingen. Die Kanzlei übergab seine Frau an ihre engste Freundin Marianne und deren Ehemann Dr. Peter K., einem Steueranwalt, und sie befand sich damit in besten Händen. Noch bis vor Kurzem hatte sich das Ehepaar um die finanziellen Angelegenheiten Dr. von W.s gekümmert. Dieser hatte sich nie mit Vermögensangelegenheiten beschäftigt, obwohl er wohlhabend, wenngleich nicht ausgesprochen reich war. Allein die Eigentums wohnung besaß einen geschätzten Wert von etwa 800 000 Euro. Wie Maria Z. wusste, hegte ihr Nachbar eine tiefe Abneigung gegen Banken und war nicht einmal in der Lage, eine Überweisung zu tätigen.
Bis vor einem Jahr hatte sich Dr. von W. von einem privaten Pflegedienst auf eigene Kosten versorgen lassen, da er an Arthrose in den Kniegelenken litt und deshalb oft starke Schmerzen beim Gehen verspürte. Darüber hinaus musste sein Bluthochdruck be handelt werden, aber ansonsten war er für seine 84 Jahre erstaunlich gesund.
Dann jedoch kam Schwester Therese und übernahm sukzessive das Zepter in der Nachbarwohnung. Von Anfang an misstraute Maria Z., die trotz ihres Alters körperlich und geistig topfit war, dieser Person. Ihr Argwohn wurde immer größer, zumal die allgegenwärtige Pflegerin jeden Kontakt zwischen ihr und ihrem Nachbarn unterband. Angeblich, weil er zu krank und zu schwach sei, um Besuch empfangen zu können, was Maria Z. für eine dreiste Lüge hielt. Weder enge Freunde noch sie als Nachbarin wurden vorgelassen, da Dr. von W., wie Schwester Therese auf wiederholte Nachfrage erklärte, keine Besuche mehr wünsche und überdies inzwischen bettlägerig sei.
Vor drei Wochen hatte Maria Z. all ihren Mut zusammengenommen und die Pflegerin im Treppenhaus zur Rede gestellt. Zum einen, so fragte sie forsch, würde sie gerne wissen, warum Dr. von W.s Telefonnummer geändert und offensichtlich in eine Geheimnummer umgewandelt wurde, und zum anderen habe sie mitbekommen, dass das Schloss in der Wohnungstür ausgewechselt worden sei. Somit könne sie Herrn Dr. von W. ja den alten Wohnungsschlüssel, den sie noch für Notfälle aufbewahrte, zurückgeben. Allerdings wolle sie das persönlich tun. Sie bestehe deshalb darauf, ihren Nachbarn aufsuchen zu dürfen, notfalls würde sie sich an die Behörden wenden. Schwester Therese erklärte lapidar, sie habe die Telefonnummer ändern lassen, damit Dr. von W. nicht ständig durch Anrufe belästigt und in seiner Ruhe gestört werde. Das Türschloss sei auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin ausgetauscht worden, da er sich mit seinen engsten Freunden und bis herigen Vermögensverwaltern, dem Ehepaar K., zer stritten habe und diesen nicht mehr traue. Sie wolle sich da aber nicht einmischen. Von wegen, dachte Maria Z. und bestand trotz der schlagfertig vorgetragenen Begründungen darauf, ihren Nachbarn persönlich zu sprechen. Daraufhin erhielt sie einen Besuchstermin für zwei Tage später. Dr. von W. befolge einen streng geregelten Tagesablauf, und deshalb seien spontane Besuche nicht möglich, erklärte Therese O. schnippisch und ließ die Nachbarin stehen. Deren Misstrauen wuchs dadurch nur noch mehr. Warum durfte sie Dr. von W. nicht gleich besuchen? Was hatte die Schwester zu verbergen? Was wollte sie vertuschen?
Als Maria Z. Roland von W. im Bett liegen sah, erschrak sie. Das war nicht der Mann, den sie kannte, sondern ein körperliches Wrack. Ihr einst so vitaler Nachbar wirkte wie im Delirium, und das Einzige, was er sagte, waren lobende Worte für die liebe, gute Schwester Therese. Sie sei ein Engel, stammelte er mühevoll, sie würde sich so rührend um ihn sorgen und kümmern. Der »Engel« indessen stand während des maximal zehn Minuten dauernden Besuchs neben dem Bett und hielt ununterbrochen und keine Minute weichend die stark abgemagerte Hand des Patienten. Therese O. bot Maria Z. weder einen Stuhl noch ein Getränk an. Damit signalisierte sie, dass es sich nur um eine kurze Stippvisite handeln konnte. Eine Farce, dachte sich Maria Z. und wollte
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