Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Mutter des Opfers nicht berichten, aber was sie uns zu sagen hatte, reichte für den nächsten Schritt. »Ermittlungsansätze« nennen wir das, wenn sich eins ans andere anknüpft. Nicole sei kurz nach Mitternacht heimgekommen. Sie habe das zufällig gemerkt, weil sie nicht schlafen konnte und in der Küche eine Zigarette geraucht habe. Das täte sie öfters während der Nacht. Allerdings sei gestern etwas anders gewesen als sonst, denn zum ersten Mal brachte ihre Tochter ein Mädchen mit nach Hause, ein hübsches, blondes, schüchternes Mädchen, etwas älter vielleicht als Nicole. Die beiden hätten sich angeregt in ihrem Zimmer unterhalten, ohne dass sie hören konnte, worüber, um dann kurze Zeit später wieder die Wohnung zu verlassen. Nicole habe ihr nicht mitgeteilt, wohin sie gehen und wann sie zurück sein würde. Das tat sie offenbar schon lange nicht mehr. Das andere Mädchen habe ziemlich niedergeschlagen gewirkt, als sie gingen. Mehr wisse sie nicht. Auch nicht, was sich in der Clique ihrer Tochter abspielte, nur dass Nicole die Anführerin gewesen sei.
Ihr bester Freund? Das sei zweifellos Dennis. Ein ruhiger, schüchterner Junge, der hier in der Nähe wohne. Dennis sei der Einzige, der bereits einen Füh rerschein habe und ein Auto besitze. Er hatte nach Aussagen der Mutter eigenartigerweise noch nie hier übernachtet, schien für ihre Tochter offensichtlich eine Art Neutrum zu sein. Sie habe ihn wohl eher ausgenutzt, seufzte die Frau. Dennis sei quasi ihr Chauffeur gewesen. Der Junge habe ihr leidge tan, weil er irgendwie eigenartig aussehe. Nicht häss lich, aber auch nicht besonders ansehnlich, eigenartig eben.
Wenn es läuft, dann läuft es. Nächste Station war Dennis A. Parallel wurde fieberhaft ermittelt, angefangen bei der Vernehmung der Entdeckungszeugen bis hin zur Fortsetzung der Tatortarbeit und dem gründlichen Absuchen der näheren Umgebung durch Kräfte der Einsatzhundertschaften. Die Obduktion der Leiche im Institut für Rechtsmedizin der Universität München sollte bereits am frühen Vormittag beginnen. Üblicherweise stehen die Ermittler im Außendienst in ständigem Kontakt mit der Dienststelle, in der die Fäden zusammenlaufen, von der aus man mit Informationen versorgt wird und an die man auch eigene neue Erkenntnisse sofort weitergibt.
Bei juristischen Entscheidungen, wie bei spielsweise Durchsuchungsbeschlüssen, Anträgen auf Haftbefehle oder Eilersuchen an die verschiedenen Provider, stehen eine Staatsanwältin oder ein Staatsanwalt zur Verfügung. Zumindest in München verfügt die Staatsanwaltschaft über ein eigenes Referat für Kapitaldelikte mit einem organisierten Bereitschaftsdienst. Man kennt sich untereinander und arbeitet vertrauensvoll zusammen.
Dennis A. wohnte in einem kleinen Einfamilienhaus mit einem gepflegten Garten in einem ruhigen, gut bürgerlichen Wohnviertel. Wir läuteten, und eine junge Frau öffnete, schätzungsweise 20 Jahre alt und sehr hübsch. Sie trug ein dunkles elegantes Kleid und sagte, sie sei gerade im Begriff, mit ihrer Mutter in die Kirche zu gehen. Hier schienen wir auf ein Stück heile Welt getroffen zu sein, schon ahnend, dass diese in einer halben Stunde zerstört sein würde.
Manchmal leiden die Familien der Täter genauso wie die der Op fer. Ein solcher Fall war das hier. Aber noch war es nicht so weit. Wir stellten uns vor und fragten, ob ein Dennis A. hier wohne.
»Ja, das ist mein Bruder«, antwortete die junge Frau freundlich, fragte jedoch sogleich erschrocken nach, ob etwas passiert sei.
»Ja, leider«, entgegnete ich und bat um Einlass. Im Flur trafen wir auf die Mutter, die ein festliches Dirndl trug. Der Ehemann war zwei Jahre zuvor gestorben, die 50 -jährige Erzieherin lebte alleine mit ihrer 22 -jährigen Tochter Melanie, einer Jurastudentin, und ihrem 19 -jährigen Sohn Dennis, der eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte. Für die Frau kein Problem: Mit ihren beiden Kindern kam sie bestens aus, und innerhalb der kleinen Familie herrschte offenbar Harmonie. Melanie liebte ihren Bruder über alles, hatte ihn schon in der Schule immer beschützt und wusste, dass er wegen seiner extremen Schüchternheit unter Problemen litt, insbesondere im Umgang mit Mädchen.
Wir setzten uns an den großen Esszimmertisch. Als wir den Frauen eröffneten, dass die ihnen bekannte Nicole B. tot aufgefunden worden war, dass wir von einem Tötungsdelikt ausgingen und in diesem Zusammenhang Dennis sprechen wollten,
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