Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
gericht, wo sich Jürgen und Joanna, inzwischen Mutter eines Mädchens, verantworten mussten. Er wegen Totschlags und sie wegen Anstiftung und Beihilfe. Den Grad seiner Alkoholisierung konnte man nur noch anhand der Aussagen über den Alkoholkonsum an diesem Abend errechnen, zu dem auch die inzwischen in Scheidung lebende Ehefrau Angaben machte. Auf ihr Zeugnisverweigerungs recht verzichtete sie offensichtlich deshalb, weil sie sonst weder ihren lieben Jürgen noch ihre ehemalige Freundin Joanna hätte entlasten können, obwohl sie beide mit ihrer ursprünglichen Aussage anfangs massiv belastet e. Joanna sei es gewesen, die ihrem Mann die Statue gereicht und ihn aufgefordert habe, Heinrich umzubringen, gab sie vor der Polizei und dem Ermittlungsrichter zu Protokoll. Das sei eine falsche Aussage gewesen, korrigierte sie sich nunmehr vor dem Schwurgericht. Sie habe sich wohl geirrt und in ihrer Aufregung vieles falsch verstanden. »Wer’s glaubt, wird selig«, kommentierte einer der Ermitt ler diesen Rückzieher – er war davon überzeugt, dass der millionenschwere Vater des Angeklagten im Hintergrund längst die Fäden gezogen hatte.
Jürgen Z. wurde wegen Totschlags zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Infolge seiner Alkoholi sierung und der starken Provokation habe eine tief greifende Bewusstseinsstörung (Affekttat) vorgelegen. Joanna wurde freigesprochen. Warum sie nicht selbst sofort eingriff oder wenigstens lauthals schrie, als sie ihren Ehemann in flagranti erwischte – wie es wohl die meisten in einer solchen Situation getan hätten –, sondern ihren Gast weckte, konnte nicht geklärt werden. Merkwürdig bleibt es allerdings.
Das Miststück
S ie saß auf der Lehne der massiven Holzbank und rauchte ihren Joint. Er stand unbewegt hinter ihr. Jetzt, dachte er, zog den Radmutterschlüssel aus dem Ärmel seines Parkas, holte weit aus und schlug mit aller Kraft auf den Hinterkopf des Mädchens. Mit einem kurzen Aufschrei stürzte es rücklings von der Bank und begann zu wimmern. Er kniete sich über den zierlichen Teenager, nahm den Radmutterschlüssel quer in beide Hände und drückte ihn – das Gewicht seines Oberkörpers einsetzend – so lange nach unten, bis Augen und Zunge des Mäd chens hervorquollen und sein Mund weit offen blieb. Erst als es nicht mehr röchelte und völlig erschlafft war, lockerte er den Druck.
Um sicherzugehen, dass es auch wirklich tot war, legte er den Radmutterschlüssel zur Seite, griff in die Außentasche seines Parkas und zog ein Teppichmesser heraus. Damit schnitt er dem Mädchen von links nach rechts den Hals durch. Ohne es sofort zu spüren, verletzte er dabei auch seine linke Hand leicht, mit der er den Hals des Opfers gehalten hatte. Um sich nicht allzu sehr mit Blut zu besudeln, sprang er auf, packte die Tote an den Beinen und zog sie in das Unterholz, das nur etwa zehn Meter entfernt begann. Unter einer kräftigen Fichte legte er sie ab und lief im Schein des hellen Mondlichts zu seinem Fahrzeug, das etwa 200 Meter weiter auf einem Parkplatz stand, um aus dem Kofferraum eine Flasche Spiritus zu holen. Nach wenigen Minuten war er zurück. Das Mädchen lag unverändert da. Er übergoss es mit dem gesamten Flascheninhalt und zündete es an. Eine Stichflamme schoss empor, der Körper brannte. Wie von Sinnen rannte er zurück zum Auto, startete den Motor und fuhr weg.
W enn man mitten in der Nacht in einem Wald vor einer durch Brandeinwirkung entstellten Leiche eines offensichtlich noch sehr jungen Mädchens steht, gehen einem als Ermittler tausend Gedanken durch den Kopf. Wenn Kinder oder Jugendliche Opfer eines Verbrechens werden, herrscht mit Recht bei jeder Mordkommission Alarmstufe Rot. Es gibt nichts Schlimmeres als Kindsmorde. Dass es sich bei diesem toten Mädchen nicht mehr um ein Kind handelte, sondern um eine Jugendliche, war allenfalls rein rechtlich von Belang.
Dass die Tote noch sehr jung sein musste, konnte man am Gesicht erkennen, das verschont worden war. Auch die zierliche Figur und die Kleidung deuteten eher auf einen sehr jungen Menschen hin. Sie trug neben einer normalen Jeans ein T-Shirt mit der Aufschrift »Tokio Hotel« und dem Porträt eines wie Struwwelpeter aussehenden Jungen, der aber eher ein Mädchen zu sein schien. Ein junger Streifenpolizist bestätigte dann, dass es sich bei dem Shirt um einen Fanartikel der beliebten Jugendband handelte.
Aber wie kam dieses Mädchen mitten in der Nacht hierher? Welcher Teenager geht im
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