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Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Titel: Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Wilfling
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Sohn bereits dort. In verschiedenen Büros wurden sie von jeweils einem Beamten betreut. Als Erstes sollte der Vater, der ja der mut maßliche Täter war, vernommen werden. Der Leiter der vierten Mordkommission, der Sachbearbeiter und ich betraten fast gleichzeitig das Vernehmungszimmer.
    Mit seinen 64 Jahren wirkte Karl K. eher wie ein gut 70 -jähriger Mann, was aber möglicherweise an den aktuellen Umständen lag. Er war zwölf Jahre älter als seine Frau und mit dieser seit 22 Jahren verheiratet. Er hatte als Ingenieur bei einem großen Elektrokonzern gearbeitet und war seit zwei Jahren Rentner.
    Meinem ersten Eindruck nach handelte es sich um einen eher weichen, gutmütigen Menschen. Mit keinem Wort beklagte er sich über die harte Fest nahme. Er wirkte weinerlich, leidend, eher wie ein ahnungsloses Opfer und nicht wie ein Täter. Dieser Mann schien nicht unter dem Eindruck der schrecklichen Tat zu stehen, die er soeben begangen hatte. Was nichts heißen musste; es gibt auch Täter, die vorher Opfer waren, und umgekehrt.
    Meine Empfindung verstärkte sich, als uns der Mann regelrecht anflehte, ihm doch endlich zu sagen, was eigentlich passiert sei. Normalerweise hätte ich dieses Winseln als scheinheiliges Täuschungs manöver abgetan, denn es ist eine Tatsache, dass die meisten Festgenommenen erst einmal ihre Show abziehen. Aber hier verhielt es sich anders: Das war echt. Ich setzte mich vor ihn hin, rückte ganz nah an ihn heran und fragte in ruhigem, unaufgeregtem Ton:
    »Herr K., wissen Sie, wo Sie hier sind?«
    »Ja, natürlich«, antwortete er, »bei der Kriminalpolizei. Drogenfahndung vielleicht?«
    »Wie kommen Sie auf Drogenfahndung?«
    »Mein Sohn hatte schon mal Probleme mit Drogen und deswegen auch mit der Polizei zu tun. Und nach dem, was hier gerade passiert, kann ich mir nur vorstellen, dass es damit zusammenhängt. Ist es so? Sie können mir ruhig die Wahrheit sagen.«
    »Sie sind hier bei der Mordkommission«, sagte ich betont langsam und leise, »und wir sind davon ausgegangen, dass Sie das auch wissen. Insofern möchte ich Sie darum bitten, dass wir vernünftig miteinander reden und gar nicht erst anfangen mit irgendwelchen Katz-und-Maus-Spielchen.«
    »Was, bei der Mordkommission? Um Gottes willen, was ist denn passiert? Was heißt Mordkommission? Ist irgendetwas mit meinem Sohn? Bitte, sagen Sie es mir!«
    Er sprang auf, begann zu weinen, faltete die Hände wie zum Gebet, die nackte Verzweiflung stand ihm im Gesicht. Und plötzlich wussten wir, dass wir den Falschen vor uns hatten. Wie Schuppen fiel es uns von den Augen. Meine beiden Kollegen waren einen Moment ebenso sprachlos wie ich. Der Sachbearbeiter rannte aus dem Zimmer, und es war klar, wohin: in das andere Büro, in dem der wahre Mörder saß und den Zeugen mimte. Als solcher hätte er jederzeit aufstehen und gehen können. Niemand hätte das Recht gehabt, ihn daran zu hindern. Aber er saß noch da.
    »Es geht um den Tod Ihrer Frau. Ihr Sohn hat uns angerufen und uns mitgeteilt, dass Sie Ihre Frau getötet haben«, sagte ich ganz leise und behutsam. Ich wusste, was das Überbringen solch unvermeid licher Nachrichten bewirken kann. Tatsächlich sank er seitlich vom Stuhl, glitt zu Boden, schlug die Hände vors Gesicht und weinte verzweifelt. Wir riefen einen Arzt, der ihm eine Beruhigungsspritze gab. Er erholte sich wieder und wollte unbedingt auf der Dienststelle bleiben.
    Als ich ins andere Zimmer ging, saß der wahre Täter auf einem Stuhl mit vor der Brust verschränkten Armen, und sein Gesichtsausdruck wirkte auf mich, als langweile er sich. Fehlte nur noch, dass er grinste.
    René K. war bereits darüber belehrt worden, dass wir nicht seinen Vater für den Täter hielten, sondern ihn. Er werde beschuldigt, seine Mutter getötet zu haben. Natürlich wurde er aufgeklärt, dass er das Recht habe, jegliche Aussage zu verweigern, und sofort einen Anwalt hinzuziehen könne. Er nickte nur und meinte, da er nichts getan habe, brauche er auch keinen Anwalt. Einen solchen bräuchte man nur, wenn man die Absicht habe, zu lügen. Das sei bei ihm nicht der Fall, er würde die Wahrheit sagen.
    In dieser Phase wirkte René K. selbstbewusst, fast frech, irgendwie trotzig. Trotzdem konnte er nicht verbergen, dass er tief verunsichert war. Ich habe zwar nie etwas auf sogenannte nonverbale Signale gegeben, weil auch Unschuldige nervös sein können, aber bei ihm war das Flackern seiner Augen ebenso auffällig wie der Umstand, dass er meinen

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