Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
abtransportieren. Ein Schwert, so die Rechtsmedizinerin, passe sehr gut als Tatwaffe. Ihrer Meinung nach sei es nur ein einziger Hieb gewesen.
Ich selbst sah mich ein bisschen in der Wohnung um. Zunächst fiel mir auf, dass sie geschmackvoll eingerichtet war, gepflegt und aufgeräumt. Die Frau schien ständig geputzt zu haben, dachte ich. Bis auf das Zimmer des Sohnes. Hier herrschte das pure Chaos. Ich fragte mich, wie man sich in all dem Müll wohlfühlen konnte. Es war jedenfalls schwer, in diesem Durcheinander irgendwelche Auffällig keiten zu entdecken. Blutspuren fanden sich je denfalls weder vor dem Zimmer noch im Zimmer selbst.
Wenn man eine Wohnung inspiziert, in der sich eine Gewalttat ereignet hat, schaut man als Erstes nach Getränkeflaschen. Sie geben Aufschluss über die Trinkgewohnheiten der Bewohner. Dabei interessieren uns natürlich vor allem Alkoholika. Bei schätzungsweise 70 Prozent aller Totschlagsdelikte spielt Alkohol eine tragende Rolle. In diesem Fall wurde keine einzige volle oder leere Flasche eines alkoholischen Getränks gesichtet, und das war außergewöhnlich.
Alle Zimmertüren der Wohnung gingen von dem quadratischen, geräumigen Flur ab. Auf jeder Seite zwei. Betrat man die Wohnung, lag rechts die Küche, an die sich das Wohnzimmer anschloss. Geradeaus ging es in das Elternschlafzimmer, daneben eine Tür zu einer geräumigen Abstellkammer. Linker Hand die hintere Tür zum Badezimmer mit WC und die vordere zum Zimmer des Sohnes. Die vermutliche Tatwaffe war in der Abstellkammer aufgefunden worden.
Im Schlafzimmer lief ein kleiner Fernseher, es wurde gerade ein Formel- 1 -Rennen übertragen. Auch die Tür zu diesem Zimmer war vom SEK beim Stür men der Wohnung aufgebrochen worden . An der Innenseite steckte ein Bundbartschlüssel, die Tür muss versperrt gewesen sein, der Riegel war noch ausgefahren. Also hatte sich der Mann tatsächlich eingesperrt.
Auf einer Seite des Ehebetts war die Zudecke entfernt und eine Süddeutsche Zeitung ausgebreitet. Ich sah Seiten mit Stellenanzeigen. Wie man sehen konnte, waren einige Einträge mit Kugelschreiber markiert, ein solcher lag auch auf dem Nachtkästchen. Lesen konnte ich die Anzeigen vorerst nicht, weil ich nichts verändern und nicht so nah herangehen durfte.
Ich fragte mich, ob es nachvollziehbar war, dass jemand fernsieht, die Stellenanzeigen in der Zeitung studiert, um dann – mehr oder weniger nebenbei – seine Frau zu enthaupten, das Tatwerkzeug wieder aufzuräumen, ins Schlafzimmer zurückzugehen und dort in aller Seelenruhe weiter das Formel- 1 -Rennen zu verfolgen. Allerdings hatte ich schon öfter erlebt, dass Täter nach der Tat wieder zur Tagesordnung übergingen und dort weitermachten, wo sie vor dem Mord aufhörten. Viele Mörder zeigen nach der Tat ein täuschendes Verhalten und erwecken den Anschein von Harmlosigkeit, Ahnungslosigkeit oder Unschuld.
Weder auf dem Weg von der Küche zum Schlafzimmer noch in diesem selbst konnten auch nur die geringsten Blutantragungen festgestellt werden. Was aber nicht unbedingt etwas besagte. Der Täter musste nicht zwangsläufig Blut des Opfers abbekommen haben, er konnte so weit hinter dem am Tisch sitzenden Opfer gestanden haben, dass er von keinem einzigen Blutspritzer getroffen wurde. Bis Blut aus dem Körper drang, hatte er sich vielleicht längst zurückgezogen, sodass selbst seine Füße beziehungsweise Schuhe sauber blieben. Die Annahme, dass bei blutigen Tötungsarten auch der Täter blutbesudelt sein müsse, ist in vielen Fällen falsch. Zu dieser Annahme verleitet oft der Anblick des vielen Blutes an den Tatorten.
Wirklich stutzig machte mich bei meinem Rund gang aber eine andere Entdeckung. In der Küche stand ein großer Kühlschrank, der mit einer Ket te verschlossen war, die, durch den Griff gezo gen, zu einem Haken in der Wand führte. Ein kleines Vorhängeschloss sicherte sie, sodass es nicht möglich war, die Tür zu öffnen. Wer verschloss denn um Himmels willen seinen eigenen Kühlschrank mit einer Kette? War hier jemand auf strenger Diät?
Das Samuraischwert war bereits ordnungsge mäß gesichert und in durchsichtige Folie verpackt, weshalb ich es begutachten konnte. Die Blutanhaftungen an der bogenförmigen, 90 Zentimeter langen Klinge ließen sich deutlich erkennen. Das Schwert war laut Erkennungsdienst extrem scharf, definitiv keine Billigwaffe, sondern ein Mordinstrument erster Güte.
Als ich etwa eine Stunde später zur Dienststelle kam, waren Vater und
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