Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Einsatzort die erste Aufgabe der nach und nach eintreffenden Mordermittler, Struktur in die weiteren Abläufe beziehungsweise Ordnung ins Chaos zu bringen.
Als ich auf den Hauseingang zuging – seit Einsatzbeginn waren etwa 40 Minuten vergangen –, kam ich an einem versteckt stehenden Polizeifahrzeug vorbei, in dem ein älterer Mann auf der Rückbank saß, die Hände auf den Rücken gefesselt. Er war kreidebleich, das blanke Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er aus dem Fester, als ob er unter Schock stünde und nicht begreifen würde, was mit ihm geschah. Was allerdings nicht ungewöhnlich ist bei Tätern, die noch unter dem Eindruck der Ereignisse stehen. Die beiden Beamten, die auf ihn aufpassten, kannten mich.
»Ist das der Täter?«, fragte ich, ohne dass es der Mann im Inneren hören konnte. Die Polizisten nickten nur. »Warum ist er noch hier?«, wollte ich wissen und erfuhr, dass die beiden noch auf Anweisungen warteten, wohin sie ihn bringen sollten. »Hat er was gesagt oder haben Sie ihn aufgeklärt oder belehrt?«, fragte ich weiter.
»Nein«, sagte der Streifenführer, »wir haben kein Wort zu ihm gesagt und ihn auch nicht belehrt. Er fragt immer nur, was denn überhaupt passiert sei.«
»Das darf er«, antwortete ich und bat die Beamten eindringlich, keinerlei Erklärungen abzugeben und auch keine Belehrung vorzunehmen. Sie sollten ihm lediglich sagen, die Kriminalpolizei würde ihm alles erklären. Das Wort »Mordkommission« dürften sie auf keinen Fall verwenden. Irgendwie signalisierte mir der Anblick dieses Mannes, vorsichtig zu sein. Ich hatte ein komisches Gefühl.
Beide Beamten nickten und schienen verstanden zu haben. Sie erhielten den Auftrag, den Mann zum Erkennungsdienst zu bringen, dort seine komplette Bekleidung sicherstellen zu lassen und ihm Ersatzkleidung aus der Haftanstalt zu besorgen. Danach sollte er zum Institut für Rechtsmedizin gefahren werden, um ihm Blut- und Urinproben zu entnehmen, und anschließend bei der Mordkommission abgeliefert werden, wo die Vernehmung stattfinden würde. Die körperliche Untersuchung des Festgenommenen auf Verletzungen wollten wir selbst veranlassen. Die beiden Kollegen fuhren los.
In einem Rettungswagen sah ich zwei Mitarbei ter des KIT (Kriseninterventionsteams), die auf einen jungen Mann einredeten. Der saß da und schaute zu Boden. Offensichtlich hörte er zu, sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Der Einsatzleiter der Schutzpolizei war inzwischen bei mir und klärte mich auf. Das sei der Sohn des Täters beziehungsweise des Opfers. Der junge Mann sei 21 Jahre alt und habe sich wohl in seinem Zimmer aufgehalten, als die Tragödie geschah. Sobald er sich beruhigt hatte, sollte auch er zur Mordkommission gebracht werden, bat ich.
Armer Kerl, dachte ich im Weitergehen und musste daran denken, dass insbesondere junge Menschen ihr ganzes Leben traumatisiert sein können, wenn sie Zeugen brutaler Gewalt zwischen ihren nächsten Angehörigen werden.
Die Festnahme des Vaters sei durch einen Sofortzugriff erfolgt, berichtete der Einsatzleiter des SEK . Die Einsatzkräfte sperrten die Wohnung auf mit dem Schlüssel, den ihnen der im Hof wartende Sohn gegeben hatte. Der Junge sei fix und fertig gewesen, habe am ganzen Körper gezittert. In dem Moment, als die Beamten die Wohnung betreten wollten, habe der Täter aus seinem Zimmer herausgeschaut und beim Anblick der Polizisten die Tür sofort wieder zugezogen. Um zu verhindern, dass er sich im Zimmer verbarrikadierte, reagierten die Beamten sofort und stürmten die Wohnung. Die Tür wurde aufgesprengt.
Der Mann war hinter seinem Bett kauernd über rumpelt und festgenommen worden, was keine 40 Sekunden dauerte. Man hatte ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt und ihm eine Decke über den Kopf geworfen, um zu vermeiden, dass er sein Täterwissen später damit erklären konnte, er habe diese oder jene Einzelheit wahrgenommen, als er hinausgeführt wurde.
Respekt, dachte ich, die Jungs haben gut aufgepasst beim Thema »Erster Zugriff« – ohne zu ahnen, wie wichtig es war, dass man ihm eine Decke über den Kopf geworfen hatte.
Der Täter sei nicht verletzt worden, hieß es, und der Notarzt, der bei Einsätzen des SEK immer mit vor Ort ist, habe an ihm bisher keinerlei Verletzungen festgestellt. Bewaffnet sei er nicht gewesen.
Vorbildlich, dachte ich. Die haben wirklich an alles gedacht.
Weitere Polizisten der Einsatzhundertschaft wa ren dabei, im
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