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Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers

Titel: Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Wilfling
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Haus und in der Nachbarschaft die sogenannte Hausbefragung durchzuführen, die unverzüglich vorzunehmen ist, um zu vermeiden, dass sich Nachbarn untereinander absprechen und Erfahrungen austauschen. Werden doch gerne Mei nungen und Kenntnisse anderer als die eigenen übernommen und etwas abgewandelt weitergegeben.
    Die ersten Ergebnisse dieser Hausbefragung fielen für den festgenommenen Familienvater nicht gut aus. Es sei oft ziemlich laut gestritten worden in dieser Wohnung, wussten Nachbarn zu berichten, ohne jedoch sagen zu können, wer mit wem aneinandergeriet. Ein komischer Kauz sei der Mann gewesen. Er sei unfreundlich dreinblickend und ohne Gruß an einem vorbeigegangen und habe keinerlei Kontakt zu den Nachbarn gepflegt. Die Frau wurde als verhärmt beschrieben, man habe ihr angesehen, dass sie Sorgen hatte. Ganz bestimmt sei sie von ihm geschlagen worden, behauptete eine der Nachbarinnen. Einmal habe sie die Frau nach einem lau ten Streit weinend aus der Wohnung laufen sehen. Soweit sie wisse, trank der Mann auch. Den Sohn bekam man ohnehin nur selten zu Gesicht, der sei wohl keiner Arbeit nachgegangen, lungerte ständig daheim herum.
    Asoziale Familienverhältnisse, häufiger Streit, Eskalation, Alkohol und Gewalt – uns wurde eine nicht gerade intakte Familie beschrieben. Niemand von uns sah einen Grund, diese Charakterisierung anzuzweifeln. Entsprach es doch genau den Erfahrungen, die man bei derartigen Einsätzen in der Regel machte. Nur die Eigentumswohnung passte nicht so recht ins Bild.
    Die Bereitschaftsbeamten der vierten Mordkommission empfingen mich mit dem Hinweis, dass mich kein schöner Anblick erwarte, aber ich sei ja einiges gewöhnt. Das hier, so meinte einer, sei schon heftig. Der Chef des Erkennungsdienstes gab mir die obligatorischen Überzüge für die Schuhe. Er hatte einen sogenannten Trampelpfad in die Wohnung gelegt, einen schmalen Streifen, auf dem man sich bewegen darf, wenn man einen Tatort betritt. Mit den Händen in den Taschen wohlgemerkt und ohne irgendetwas zu berühren.
    Mein Kollege hatte recht. Es war ein grausamer Anblick, der sich mir bot. Die Frau, die in der Küche am Boden lag, war offenbar gänzlich ausgeblutet, was sich an zwei Dingen erkennen ließ: zum einen an der Menge des Blutes, das sich über den gesamten Küchenboden ausgebreitet hatte, zum anderen daran, dass ihr Kopf sich nicht mehr da befand, wo er hätte sein müssen. Er war nahezu vollständig abgetrennt. Bei näherer Betrachtung sah man, dass er nur noch an einem schmalen Hautfetzen hing.
    Wie die Rechtsmediziner bei der bereits zwei Stunden später beginnenden Obduktion feststellten, hatte eine vollständige Durchtrennung der Nackenmuskulatur, der rechten Wirbelschlagader und des hinteren Bogens des ersten Halswirbelkörpers stattgefunden. Dabei wurde die große rechte Halsvene durchschnitten, ebenso das Rückenmark im Bereich des hohen Halsmarks. Ein wuchtiger Hieb mit einer scharfen, großen Klinge, wie von einem Schwert, der von rechts oben nach links unten geführt wurde und an der rechten Halsregion auftraf, trennte den Kopf nahezu vollständig vom Rumpf. Dass der Hieb von hinten erfolgt sein dürfte, während die Frau auf einem Stuhl am Küchentisch saß und vermutlich Zeitung las, konnte mit hoher Wahr scheinlichkeit angenommen werden. Sie hatte dem Täter den Rücken zugewandt und dürfte deshalb völlig arg- und wehrlos gewesen sein.
    Wie immer an einem Tatort versuchte ich mich in die Lage des Opfers zu versetzen. Das war mir wichtig, weil ich es für aufschlussreich hielt. Was ging in ihr vor, als sie die Klinge traf? Spürte sie es überhaupt? War sie sofort tot? Oder realisierte sie noch, dass sie jetzt sterben würde? Hatte sie Schmer zen? Todesangst?
    Ich schaute mir das Gesicht an und sah in weit aufgerissene Augen. Also hat sie noch etwas mitbekommen, dachte ich. Ob sie auch sehen konnte, wer ihr das angetan hat?
    Inzwischen war eine junge Rechtsmedizinerin eingetroffen, von denen es erstaunlicherweise relative viele gibt. Übrigens: Bei den jungen Polizistinnen und Polizisten, die erstmals einer Obduktion beiwohnen, sind es vorwiegend Männer, denen schlecht wird oder die sogar in Ohnmacht fallen.
    Die junge Ärztin und der Erkennungsdienst nahmen noch einige Untersuchungen an der Leiche vor, maßen die Körpertemperatur rektal – wichtig zur Berechnung des Todeszeitpunkts –, sicherten den Kopf entsprechend und ließen die Leiche zum Insti tut für Rechtsmedizin

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