Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Dieser erfreuliche Trend hält bis heute an. Fast könnte man meinen, die Jahrhundert- beziehungsweise Jahrtausendwende habe auch zu einer Wende in Bezug auf Mord und Totschlag geführt. Allerdings gab es zwischendurch einzelne Phasen, die einen Bruch in dieser kontinuierlichen Abwärtsentwicklung darstellten und bis heute Rätsel aufgeben.
Im Jahre 2005 beispielsweise zeigte sich in München ein Phänomen, das rein sachlich nicht zu erklären war und ist. Innerhalb der ersten sechs Monate kam es zu einer beispiellosen Welle der Gewalt, wobei es zwischen den einzelnen Verbrechen keinerlei Gemeinsamkeiten oder Verbindungen gab. Bei zwei Dritteln der in dieser Zeit begangenen Morde handelte es sich um Beziehungstaten, ein Drittel der Opfer geriet ahnungslos ins Visier der Mörder oder befand sich ganz einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Zufallsopfer nennt man diese bedauernswerten Menschen.
Begonnen hatte die Serie wie auf Kommando zum Jahresbeginn und endete ebenso abrupt am 30. Juni. Insgesamt 15 brutale Mordfälle ereigneten sich während dieser Zeit, darunter der Sexualmord an einem achtjährigen Jungen, der Mord an Modeschöpfer Rudolph Moshammer und die Ermordung und Zerstückelung zweier junger Frauen. Auch der Mord an einem griechischen Mitbürger, begangen von der erst Ende 2011 entdeckten rechtsterroristischen Mörderbande aus Zwickau, fiel in dieses schmale Zeitfenster. Auffallend war die außergewöhnliche Brutalität bei allen diesen Fällen. Dann riss die Serie plötzlich ab, bis es im Dezember noch einmal zu einem grausamen Sexual- und Raubmord an einer jungen Patentanwältin kam. Er bildete den Abschluss dieses schlimmen Jahres. Alles nur Zufall?
Bis heute gibt es keine nachvollziehbare Erklärung für diese plötzliche Anhäufung schlimmster Gewaltverbrechen in einem so engen zeitlichen Rahmen. Lediglich einige Astrologen meinten, bestimmte Sterne und Planeten hätten in einer ungünstigen Konstellation zuei nander gestanden. Solchen Aussagen schenken wir schon deswegen keinen Glauben, weil wir ausschließlich auf naturwissenschaftlich gesicherte Methoden zurückgreifen dürfen. Abgesehen davon vermochten die Sternendeuter nicht zu erklären, warum ausgerechnet über München so viel Unheil niederging. Schließlich leuchten dieselben Sterne genauso über anderen Regionen, in denen diese auffallende Ballung von Gewalt nicht zu verzeichnen war. Jedenfalls stellte das Jahr 2005 auf das sonstige Bundesgebiet bezogen keine Abweichung vom kontinuierlichen Rückgang dar.
Ende 2008, kurz bevor ich in Pension ging, hatte sich die Zahl der vollendeten – nicht der versuchten – Morde in München auf drei Fälle reduziert. Diese erfreuliche Tatsache veranlasste übrigens einen Fernsehkommissar zu dem Ausspruch: »In München bei der Mordkommission zu arbeiten, ist etwa so, als wäre man Förster in der Sahara.« Ich habe mich über diesen Ausspruch köstlich amüsiert, ohne jedoch mit stolzgeschwellter Brust und dem Bewusstsein in den Ruhestand zu treten, dieser drastische Rückgang sei ausschließlich der hohen Aufklärungsquote zu verdanken – die übrigens bundesweit regelmäßig über 90 Prozent liegt. Zumal man weiß, dass besonders Beziehungstaten nicht berechenbar sind. Somit beschränkt sich die abschreckende Wirkung, die mit hohen Aufklärungsquoten einhergehen soll, allenfalls auf den Kreis planender Täter. Wie sich das jedoch zahlenmäßig auswirkt beziehungsweise wie viele mörderische Gedanken dadurch weniger in die Tat umgesetzt werden, kann niemand sagen. Aber auch wenn nur ein Menschenleben dadurch gerettet wird, hat die hohe Aufklärungsquote ihren Zweck erfüllt.
Dem starken Rückgang von Tötungsverbrechen liegt allerdings nicht nur eine einzige Ursache zugrunde, sondern er resultiert aus einem ganzen Bündel von Entwicklungen und Maßnahmen. Es ist unwahrscheinlich, dass wir »bessere Menschen« geworden sind. Das zu glauben fällt schon deshalb schwer, weil sich Gewalt immer häufiger gegen die schwächsten in unserer Gesellschaft richtet: Kinder und alte Menschen.
Im Jahr 2010 wurden in unserem Land 183 Kinder infolge von Gewaltanwendung getötet, davon waren 129 jünger als sechs Jahre. Die meisten durch Schläge auf den Kopf, aber auch durch Verwahrlosung, Vernachlässi gung und sogar Verhungern. Hinzu kommen 14 669 Kinder, die Opfer sexueller Gewalt wurden, sowie viele tausend weitere, die gequält, verprügelt, verbrüht oder bis zur Verwahrlosung vernachlässigt
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