Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
und ins Schlafzimmer gezerrt, wo man ihm auf dem Bett liegend den Hals durchschnitt und zwei tiefe Messerstiche in die linke und rechte Niere beibrachte, bevor man ihm mit einem Hammer den Schädel einschlug.
Als die Tat publik wurde, geschah Folgendes: Eine Welle der Entrüstung ging durch ganz Bayern. Allerdings bezog sie sich weniger auf die Tatsache, dass der äußerst beliebte Sedlmayr ermordet worden war, es herrschte vielmehr blankes Entsetzen über dessen in diesem Zusammenhang aufgedeckte Homosexualität. Er, der Paradebayer, das gestandene Mannsbild, der Urmünchner, die Werbeikone für bayerische Lebensart und bayerisches Bier – das er übrigens gar nicht mochte –, er soll schwul gewesen sein? Für viele Bürgerinnen und Bürger war eine Welt zusammengebrochen ob dieser »Ungeheuerlichkeit«. Die Gazetten wa ren wochenlang voller Enthüllungen über das angeblich so bizarre, masochistisch gefärbte Sexualleben des Schauspielers, das sich in Wahrheit als eher harmlos herausstellte.
Nach Vernehmung von über 50 Sexualpartnern stand fest, dass es kaum zu körperlichen Berührungen zwischen ihm und den »Strichern« kam, die ihm sein »Geschäftspartner« ins Haus brachte – dieser blieb übrigens aus Sicherheitsgründen so lange in der 250-Quadratmeter-Wohnung, bis »die Sache« nach spätestens 15 Minuten erledigt war. Die voneinander unabhängigen Aussagen vermittelten ein klares Bild. Dieses ließ uns rasch erkennen, dass die am Tatort drapierten Utensilien (Peitschen, Gleitcremes, Präservative und so weiter) nur dem Zweck dienten, einen sexuellen Tathintergrund vorzutäuschen. Am Ende stand fest, dass Sedlmayr nicht Opfer eines sogenannten Strichermordes geworden war, sondern dass es sich um eine Beziehungstat mit geschäftlichem Hintergrund handelte. Als Täter wurden später der Geschäftspartner Sedlmayrs – der einen Schlüssel zur Wohnung seines Mentors besaß – und dessen Bruder verhaftet und verurteilt.
Im Grunde genommen wurde Sedlmayr zum Opfer der Intoleranz unserer (damaligen) Gesellschaft gegenüber homosexuell veranlagten Männern. Wäre er nicht gezwungen gewesen, seine sexuelle Veranlagung verbergen oder heimlich ausleben zu müssen, wäre er nicht in diese bedrohliche Abhängigkeit krimineller Kreise geraten, in denen sich vor allem sein Ziehsohn und Geschäftspartner bewegte. Hätte er so leben können, wie er wollte, ohne befürchten zu müssen, verachtet, verspottet und ausgegrenzt zu werden, wäre er wahrscheinlich heute noch am Leben.
Der Mord an Walter Sedlmayr zog ein unerklärliches Phänomen nach sich. Während in den 1970er- und 1980er- Jahren sogenannte Homomorde fast schon an der Tages ordnung waren, reduzierte sich diese Deliktart und tendierte nach 1990 nahezu gegen null. Wir haben deshalb von der Ära vor und nach Sedlmayr gesprochen. Ob dieser fast vollständige Rückgang damit zusammenhing, dass die Stricherszene in München durch die intensiven Ermittlungen nahezu »ausgetrocknet« wurde, kann niemand sagen.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass dieser spek takuläre Mord zu einem sofortigen Umdenken in der Gesellschaft führte. Allerdings steht außer Frage, dass die gesellschaftliche Toleranz in Bezug auf die sexuelle Veranlagung von Menschen enorm zugenommen hat.
Möglicherweise hat der Fall Sedlmayr – obwohl kein sogenannter Strichermord – wirklich dazu beigetragen, dass homosexuelle Männer bei der Suche nach Sexualpartnern vorsichtiger geworden sind und verinnerlicht haben, dass es sich bei vielen Strichern um gefährliche Raubtäter handelt.
Einer allerdings ignorierte solche Warnungen nachweislich und glaubte wie viele andere, er habe die Sache aufgrund seiner Menschenkenntnis im Griff: Modeschöpfer Rudolph Moshammer. Er fuhr nachts gerne im Rolls-Royce durch die Bahnhofsgegend, suchte nach südländisch aussehenden Sexualpartnern, die allerdings heterosexuell sein mussten, und chauffierte sie in seine Villa, wo er sich mit ihnen vergnügte. Wenn er bekommen hatte, was er wollte, bezahlte er den vorher vereinbarten »Stricherlohn« und brachte die Burschen persönlich dorthin zurück, wo er sie aufgesammelt hatte. Bis er an den Falschen geriet: an einen 27-jährigen Iraker, der kurz vorher all sein Geld verzockt hatte, viel Bargeld im Haus vermutete und skrupellos genug war, dafür zu töten. Mit einem Stromkabel, das er ihm von hinten blitzschnell um den Hals geschlungen hatte, erdrosselte er den schwergewichtigen Moshammer vor dessen
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