Unheil
zurückgelassen hatte.
Er trank den bräunlichen Tee aus, nahm noch einen Zug aus der Whiskyflasche, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und nahm die Gartenschere, um die Hecke vor dem vorderen Tor zu beschneiden. Bemüht, die Kopfschmerzen zu ignorieren, die er dem Busunglück am vergangenen Tag zuschrieb, stieg er die Kellertreppe hinauf.
Summers saß in seinem Arbeitszimmer bei der Abfassung eines Berichts über das Busunglück für das Schulkuratorium. Im wesentlichen wiederholte er seine bereits mündlich dem Direktor abgegebene Erklärung, daß der Fahrer, Hodges, wegen leichtsinniger Fahrweise trotz extrem schlechter Sichtverhältnisse voll für den Unfall verantwortlich sei. Als er geendet hatte, legte er den Stift aus der Hand, lehnte sich mit befriedigtem Lächeln zurück und überflog den Entwurf, wobei er da und dort ein paar Worte hinzusetzte, einen Satz durchstrich und durch einen anderen ersetzte, bis er überzeugt war, daß er die Ereignisse knapp und doch so vollständig wie möglich dargestellt hatte. Niemand konnte ihm Vorwürfe machen. Schließlich war es die Idee des Direktors gewesen, mit der Klasse einen Wandertag zu veranstalten. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er die Jungen zwanzigmal um das Spielfeld traben lassen, um jede >Unruhe< abzuarbeiten, die sich ihrer zum Ende des Schuljahres bemächtigen könnte. Er rieb sich die Augen und zwinkerte, als er die Hand wegnahm. Die verwünschten Kopfschmerzen! Seit er aufgestanden war, litt er unter einem stechenden Schmerz hinter den Augen, der in Intervallen wiederkehrte und äußerst unangenehm war.
Er ordnete die Seiten seines Entwurfs, um ihn von Miß Thorson, der Direktionssekretärin und Verwaltungsangestellten, tippen zu lassen. Nur der Umstand, daß der Direktor den Bericht gegenzeichnen würde, hinderte ihn daran, ein paar kritische Bemerkungen über die Leitung des Internatsbetriebes anzuführen. Aber die konnte er genauso gut verbal durch seinen Vertrauensmann dem Kuratorium zur Kenntnis bringen.
Und damit, dachte er bei sich, als er vom Schreibtisch aufstand und zum Fenster trat, ist über dich der Stab gebrochen, mein lieber Hodges. Dieser schleimige, widerwärtige Typ war ihm verhaßt. Hodges mußte ihn aus dem Krieg kennen, als er in der Armee gewesen war, da er aber an verschiedenen Orten gedient hatte, wußte er nicht, wo der Mann ihm über den Weg gelaufen war. Die plumpen Andeutungen des Hausmeisters, der bauernschlaue Ausdruck, der in sein dämliches Gesicht kam, wenn er den Krieg erwähnte, ließen keinen anderen Schluß zu. Bildete er sich ein, er könnte ihn in irgendeiner Weise einschüchtern? Was konnte Hodges von seiner Vergangenheit wissen? Nun, was immer der Mann wußte oder nicht wußte, er war mit seinen bald dummdreisten, bald schmierigen Anzüglichkeiten eine Erinnerung an die Vergangenheit. Und die Vergangenheit war etwas, was Summers zu verdrängen bemüht war.
Er hob den rechten Arm und stützte sich mit dem Ellbogen auf den Fenstersims. Der längst vertraute Anblick des Armstumpfes weckte diesmal Erinnerungen an Schmerz und Erniedrigung. Kannte Hodges die ganze Geschichte? Wollte er ihm mit seinen schiefmäuligen Anspielungen zu verstehen geben, daß er von dem schrecklichen Vorfall und seinen Hintergründen wußte? Nein, die Untersuchung war diskret geführt worden. Die wenigen Offizierskameraden, die von seiner Schwäche Kenntnis gehabt hatten — einige von ihnen hatten sie mit ihm geteilt —, waren einmütig für ihn eingestanden und hatten die Angelegenheit vertuscht, wie es nur der Korpsgeist der Armee vermochte. Er selbst konnte sich nicht genau an alle Geschehnisse jener Nacht erinnern, aber noch jetzt, mehr als dreißig Jahre später, war ihm der Alptraum aus Schrecken, Todesangst und Schmerz gegenwärtig. Und noch nach Jahren hatte er manche Nacht wachgelegen, weil der dumpfe, pochende Schmerz in dem nicht mehr vorhandenen Unterarm ihn nicht hatte schlafen lassen; ein Schmerz, der nicht vom ausgeheilten Stumpf herrührte, sondern von dem Unterarm, den es nicht mehr gab.
Tatsächlich war die seelische Verletzung viel schwerer gewesen als die bloße Verstümmelung seines Körpers. Der Knacks in seiner Psyche hatte ihm noch größeres Leid verursacht. Obwohl das Verlangen auch nach dem schrecklichen Erlebnis noch eine Weile fortbestanden hatte, war ihm bald klargeworden, daß der Körper seine Bedürfnisse nicht mehr befriedigen konnte. Die Entdeckung hatte ihn erschreckt und mit
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