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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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Verzweiflung erfüllt. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, sich das Leben zu nehmen. Schließlich hatte die Zeit, die alle Wunden heilt, auch ihn von seinen körperlichen und psychischen Verletzungen genesen lassen, und nach ein paar Jahren begann sogar das Verlangen zu schwinden, als ob sein Unterbewußtsein sich mit der Impotenz seines Körpers abgefunden hätte. Diese Entwicklung erfüllte ihn mit Dankbarkeit, denn heute verspürte er kein Verlangen nach den Jungen, die er unterrichtete, oder nach den jungen Männern, mit denen er in Berührung kam, obwohl er sie noch immer gern um sich hatte. Der Anblick jugendlicher Körper erregte ihn nicht mehr, aber er konnte ihre Schönheit bewundern, wie ein Mann ohne Geruchssinn auch weiterhin den Anblick einer Rose zu schätzen weiß.
    Unten auf dem Hof kam eine sich schwerfällig fortbewegende Gestalt in Sicht, die den Weg zum Haupttor einschlug. Hodges. Die gebeugte, schlurfende Gangart war unverkennbar. Summers lächelte zufrieden — bald würde der Mann ihm nicht mehr auf die Nerven fallen. Er sah den Kopfverband heraufleuchten und dachte, daß dem dummen Kerl recht geschehen sei. Du hast Schlimmeres verdient, überlegte er, den Blick auf Hodges gerichtet, und diesmal wirst du es bekommen. Der alte Hayward war zu weich, aber diesmal konnte er nicht anders, er mußte Hodges entlassen. Der Bericht mußte dem Kuratorium vorgelegt werden, und das würde niemals die unverantwortliche Handlungsweise des Fahrer-Hausmeisters tolerieren.
    Er wandte sich vom Fenster ab und blickte auf die Uhr — noch Zeit für einen Rundgang, bevor seine nächste Unterrichtsstunde begann. In seinen Freistunden unternahm er oft Rundgänge durch das Internat, da er es als seine Pflicht betrachtete, die Klassen während des Unterrichts zu inspizieren und sogar die leeren Schlafsäle zu besuchen, um sich zu vergewissern, daß die Jungen sie sauber und aufgeräumt zurückgelassen hatten, daß die Betten gemacht waren und die Kleider ordentlich in den Spinden lagen. Mancher Junge war bestraft worden, weil er sein Bett nicht ordentlich gemacht oder Kleidungsstücke hatte herumliegen lassen. Summers hatte ein heimliches Vergnügen daran, die Spinde zu kontrollieren und nach pornografischen Fotos oder Büchern Ausschau zu halten, die konfisziert werden konnten.
    Die Jungen kannten seine Eigenheiten aus bitterer Erfahrung und waren sorgsam darauf bedacht, alle belastenden Beweismittel beiseite zu schaffen. Einer war einmal so einfältig gewesen, die Zeichnung eines einarmigen Mannes in seinen Spind zu legen. Die ungelenke Zeichnung hatte eine gewisse primitive Ähnlichkeit mit Summers gehabt und ihn dargestellt, wie er kniend durch ein Schlüsselloch spähte. Darunter hatte er Junge geschrieben: »Gebt acht, gebt acht, des Käptn's Auge wacht.« Der Übeltäter war seiner Strafe nicht entgangen, wenn Summers auch darauf verzichtet hatte, den Direktor mit der Angelegenheit zu behelligen.
    Er verließ sein Arbeitszimmer und verzog ein wenig das Gesicht, als der jähe Schmerz wie mit glühender Nadel durch seinen Schläfen stieß; trotzdem wollte er das Manuskript seines Berichts zum Sekretariat bringen. Als er durch den breiten Korridor ging, verhielt er bei jeder Tür und lauschte den Geräuschen, die aus den Klassenzimmern drangen, um gegebenenfalls bei zuviel Lärm einzuschreiten. Im Vorzimmer des Direktors angelangt, gab er sein Manuskript der geschäftigen Miß Thorson. Zufrieden mit ihrer Zusicherung, den Bericht noch vor dem Mittagessen zu schreiben, setzte er seinen Rundgang fort. Seine eigene Klasse mußte um diese Zeit in der Turnhalle sein, einem neueren Gebäude, das durch den Pausenhof vom älteren Hauptgebäude getrennt war. Die Jungen hatten sich von ihrem gestrigen Schock erholt und zeigten den anderen Schülern im Internat, die nicht am Wandertag teilgenommen hatten, stolz ihre blauen Flecken. Daß sie den Hergang des Geschehens gewaltig ausschmückten, verstand sich von selbst. Als Summers über den Hof ging, im Unterbewußtsein begierig, die Jungen bei ihren Turnübungen zu beobachten, summte er eine Melodie vor sich hin.
    Hodges hatte das Haupttor beinahe erreicht, als er plötzlich stehenblieb. Er stand mehrere Minuten regungslos, bevor er auf die Knie niedersank, die Gartenschere fallen ließ und die Hände vor das Gesicht schlug. Er bewegte den Oberkörper schaukelnd vor und zurück, dann fiel er zu Boden. Unter ihm lag die Gartenschere und glänzte matt im Schatten seines

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