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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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waren und blickte in die Richtung, die er nach dem Straßenplan, den er während der Nacht studiert hatte, einschlagen mußte. Er war überzeugt, daß er die Straßen mit einer Augenbinde durchwandern und trotzdem den Weg finden könne.
    Der kleine Sauerstofftank auf seinem Rücken war unbequem, doch hielt man ihn für notwendig, falls der Nebel zu dicht und erstickend werden sollte. Er ging weiter, den Karren nachziehend, bedrückt von Unbehagen und Beengung. Der Test war positiv ausgefallen; sie waren ziemlich sicher, daß er immun war; sicher genug jedenfalls, um das Risiko als tragbar zu betrachten. Aber sie hatten die Wahl ihm überlassen; niemand konnte ihn zwingen, wieder in den Nebel hineinzugehen.
    Selbstverständlich gab es für ihn keinen Ausweg. Was sonst hätte er tun sollen? Wenn sie den Nebel nicht auflösen oder vernichten konnten, blieb die Gefahr bestehen, konnten Millionen daran zugrunde gehen. Die einzige Antwort war das Serum. Und er war die einzige geeignete Person. Es nützte nichts, die Armee wegen ihrer Fahrlässigkeit zu verdammen, der krassen Dummheit, die er schon lange geargwöhnt hatte; jetzt war konstruktives Handeln vonnöten. Aber wenn es vorbei wäre, sollte den Militärs eingeheizt werden, daß ihnen Hören und Sehen verging! Wenn es je vorüberginge.
    Die kleine Menge mit Mykoplasmen verseuchten Blutes, die sie einem noch lebenden, aber vollständig geisteskranken Opfer aus Bournemouth abgenommen hatten, war, obschon der gleichen Blutgruppe zugehörig, von seinem Körper absolut abgestoßen und zerstört worden, als man ihm die Probe injiziert hatte. Ob diese kleine Menge ausreichte, um den Versuch als schlüssigen Beweis zu werten oder nicht, konnte niemand sagen, aber in einer Krise dieses Ausmaßes mußten Risiken eingegangen werden. Und er war derjenige, der sie eingehen mußte.
    Er dachte an Casey. Sie hatte am letzten Abend so blaß ausgesehen, so still, und in ihrem betäubten Schlaf so unglaublich schön. Er wollte sie nicht verlieren! Lieber würde er jetzt selbst sterben, als ohne sie zurückzubleiben. War es nur ihre Erkrankung, die seine Liebe zu diesem beängstigenden Höhepunkt getrieben hatte? Nein, sagte er sich. Die Erkrankung hatte ihn bloß ihren Wert erkennen lassen, seine eigene Unvollständigkeit ohne sie. Sie jetzt zu verlieren, wäre die bitterste Ironie.
    Er hielt an. Einen Augenblick lang glaubte er, einen Schatten gesehen zu haben, der sich im Nebel bewegte. Oder war es bloß der ziehende Nebel selbst gewesen, der seinen Augen Streiche spielte? Er setzte sich wieder in Bewegung, nahe der Häuserfront, so daß er die Gebäude sehen und Kreuzungen erkennen konnte, aber wegen des Karrens, den er zog, blieb er auf dem Asphalt der Straße.
    Die Transfusion schien Casey geholfen zu haben; an diesem Morgen sollte sie der therapeutischen Radiologie unterzogen werden, um die krankhaft veränderten Gehirnzellen herauszubrennen. Dabei mußte der Winkel der Röntgeneinstrahlung ständig verändert werden, um das gesunde Gewebe so wenig wie möglich zu schädigen. Das Gelingen dieser Therapie war seine einzige Hoffnung, und er klammerte sich an sie und verdrängte den schrecklichen Gedanken, was andernfalls geschehen könnte, aus dem Bewußtsein.
    Und wenn sie wieder gesundete, würde sie mit der schweren Gewissenslast leben müssen, ihren >Vater< im Wahn ermordet zu haben. Er fürchtete den Augenblick, wenn er sie von Simmons Tod würde unterrichten müssen. Simmons war im Laufe der Nacht gestorben, ohne nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Er war allein gestorben. In Holman reifte der Entschluß, Casey einfach vorzuenthalten, daß sie den Mann getötet hatte, den sie für ihren Vater gehalten hatte, und der ihr ein Vater gewesen war; es könnte sie zerstören. Und er war sich noch nicht schlüssig, ob er ihr vom letzten Bekenntnis des Sterbenden erzählen sollte. Würde es helfen, den Verlust erträglicher zu machen? Er glaubte es nicht. Es war nur verwirrend für sie. Er ging langsam weiter durch den Nebel, der zusehends dichter, gelblicher wurde.
    Nun, sehen wir mal, dachte er. Dies muß der Arkadengang mit den Ladengeschäften sein. Wenn ich jetzt abbiege, müßte ich vor die Kathedrale gelangen. Er hielt einen Augenblick inne und verschnaufte. Daß er plötzlich außer Atem war, mußte eher psychologische Ursachen haben als an dem Umstand liegen, daß der Nebel seine Atmung behinderte; er inhalierte unwillkürlich so

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