Unheil
wenig von der ihn umgebenden Luft wie möglich, obwohl er wußte, daß er den Sauerstofftank auf dem Rücken benutzen konnte, wenn er wirklich Luft brauchte. Sie hatten ihm gesagt, daß der Mittelpunkt in der Nähe der alten Kathedrale sein müsse. Der Karren hinter ihm enthielt einen bleiverkleideten Kasten, der nach dem Staubsaugerprinzip arbeitete. An seiner Seite waren mehrere Längen eines Metallschlauches befestigt, die zusammengesetzt werden konnten und dann eine zähe, flexible Röhre bildeten, die in den Kernbereich der mutierten Mykoplasmen vorgeschoben werden konnten und durch die Saugwirkung des Elektromotors eine Probe davon in den Behälter ziehen sollte. Das Ganze war ein hastig ausgedachter Plan, aber der einzige, der ihnen in so kurzer Frist durchführbar erschien.
Holman nahm seinen Mut zusammen und bog in die Straße ein, die ihn auf die Rasenfläche vor der Kathedrale führen mußte. Die Straße war schmal, und als er an den Läden vorbeiging, bemerkte er, daß eine Schaufensterscheibe eingeschlagen war. Ein Stück weiter stieß er auf ein zweites zerstörtes Schaufenster. Plünderer? War es möglich, daß es noch Menschen in der Stadt gab, einige wenige skrupellose Gestalten, welche die Gefahr, in der sie sich befanden, nicht erkannten? Die Öffentlichkeit hatte von den Folgen eines Kontakts mit dem Nebel unterrichtet werden müssen; sicherlich würde kein Mensch riskieren, jetzt hineinzugehen, um die unbeaufsichtigten Läden auszurauben. Vielleicht war es ein Unfall gewesen; ein Armeelastwagen, der bei der Evakuierung der Bevölkerung in der schmalen Straße die Fenster gestreift hatte; oder vielleicht war in der Eile der fluchtartigen Räumung jemand hineingefallen. Aber zwei Schaufenster? Er sah sich den Laden genauer an. Es war ein Juweliergeschäft. Nun, das bestätigte seine anfängliche Vermutung. Jemand war ungeachtet der Gefahr und aller Warnungen zurückgeblieben, um zu plündern. War er, oder waren sie, noch in der Nähe, oder hatten sie nach ihrem Raub das Weite gesucht? Er zuckte die Achseln; es war nicht sein Problem.
Je mehr er sich der alten Kathedrale näherte, um so dichter wurde der Nebel, und seine Sichtweite wurde noch begrenzter. Er erreichte die Rasenflächen, aus denen einige bedeutende Grabsteine aus alter Zeit ragten und spähte angestrengt in das trübe Nichts, bemüht, den Weg auszumachen, der zum Portal führte. Wo war der Lichtschein? Sicherlich sollte er ihn inzwischen erreicht haben. Es würde ihm nichts übrig bleiben, als das Gebäude zu umwandern, um ihn zu finden. Seine Auftraggeber hatten darauf bestanden, daß der Mittelpunkt des Nebels in diesem Bereich zu finden sei. Er konnte natürlich weitergezogen sein, aber es herrschte kaum Wind, und der Nebel lag seit bald vierundzwanzig Stunden ortsfest über Winchester.
Aber als er sich dem Portal der Kathedrale näherte, bemerkte er einen schwachen Lichtschein und blieb stehen. War es möglich? War der Kern, das Herz der Krankheit, im Inneren der Kathedrale? Konnte der Kern des Nebels ausgerechnet in die alte Bischofskirche eingedrungen sein und dort festsitzen?
Ein anderer entnervender Gedanke schoß Holman durch den Sinn. Wie, wenn der Nebelkern nicht zufällig hineingetrieben war? Konnte er etwa aus eigenem Antrieb gehandelt haben? Es war eine unglaubliche Idee, und er versuchte, sie als unsinnig abzutun. Es war zu fantastisch, zu sehr wie schlechte Science Fiction. Aber war nicht alles so fantastisch, daß man es nicht glauben mochte?
Der Gedanke ließ sich nicht mehr verdrängen.
Fröstelnd ging er weiter, leise und vorsichtig. Er versuchte eines nervösen Zitterns Herr zu werden und sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß die unheilvollen Umstände, die Einsamkeit und die Unfähigkeit, außer dem Nebel selbst irgend etwas zu sehen, alle zusammenarbeiteten und seine Einbildungskraft angriffen, Verwandte der Furcht.
Er sah, daß der Schein — oder war es nur ein hellerer Gelbton? — unverkennbar aus dem offenen Kirchenportal drang. Hatte er den Mut, zu der drinnen lauernden Quelle dieses trüben Scheins vorzudringen?
»Scheiß drauf!« Es war ein gemurmelter Kriegsruf. Er ging weiter.
Unter dem gotischen Bogen verweilend, spähte er in den helleren Nebel. Die Luft war hier viel mühsamer zu atmen, die stechende Schärfe brannte ihm in der Kehle. Er griff nach der Sauerstoffmaske, zog sich den Zuleitungsschlauch über die Schulter und war im Begriff, die Rauchmaske abzunehmen, als ihn eine Bewegung
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