Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
weg von ihr.
„Hey, Murphy!“, rief sie noch einmal, doch der Hund machte keine Anstalten, zu ihr zurückzukommen, im Gegenteil.
Er entfernte sich sogar so weit von ihr, dass sie ihn nicht einmal mehr sehen konnte. Was machte ihm nur solche Angst?
„Ich habe dich gesucht.“
Die Stimme kam so unvermittelt, dass Kyra vor Schreck fast ausgerutscht und erneut hingefallen wäre. Sie wirbelte herum, mit geweiteten Augen, den Atem anhaltend. Kaum fünf Meter von ihr entfernt sah sie die Silhouette eines Mannes . Sie konnte nicht erkennen, wer er war, denn er stand im Schatten der Bäume und nicht einmal ein kläglicher Schein des Mondlichts fiel auf ihn. Er stand dort vollkommen regungslos, wie eine Statue. Man hätte ihn ohne weiteres für eine halten können, wenn nicht der Wind seinen Mantel sanft hätte flattern lassen. Ihr Herz pochte so laut, dass sie sich sicher war, dass selbst dieser Mann es hören musste.
Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Grausige Meldungen in den Nachrichten von verschwundenen Mädchen, Zeitungsartikel über Mord und Vergewaltigung. Wer war dieser Mann? Hatte er überhaupt mit ihr gesprochen? Und wenn ja, warum ? Kyra dachte, wenn sie ihn nicht beachtete und einfach weiterging, würde er sie bestimmt in Ruhe lassen. Er hatte nicht sie gemeint. Ganz bestimmt nicht.
„Stehenbleiben.“
Kyra hatte nur einen einzigen Schritt getan und dabei den Blick auf den Boden geheftet. Jetzt fror ihr Körper ein und wagte es nicht mehr, sich zu bewegen.
„Was ist?“, fragte sie nervös.
Der Mann antwortete nicht. Stattdessen ging er ein paar Schritte voran, so dass das Mondlicht ihn letztendlich erfasste. Verwundert stellte Kyra fest, dass er einen Mantel aus rotem Samt trug und darunter eine bestickte Weste mit doppelter Knopfleiste. Seine Beine steckten in seidenen Hosen und flachen Stiefel mit Schnallen. Sein Haar war kurz, die Augen dunkel und stechend. Er sah nicht alt aus, doch der Stil seiner Kleidung erinnerte an längst vergangene Zeitalter. Einen überdrehten Moment lang dachte Kyra, der Mann hätte sich verkleidet und würde sich einen Spaß daraus machen, andere Menschen zu erschrecken. Doch in seinem steinernen Gesicht konnte sie eine Ernsthaftigkeit entdecken, die sie schaudern ließ. Unbeirrt blickte er ihr in die Augen, so dass sie ein paar Schritte zurückwich.
„Ich bin schon sehr lange Zeit auf der Suche nach jemandem wie dir“, sagte er.
Kyra suchte nach Worten. Sie wollte ihn anschreien, ihm sagen, er solle verschwinden und sie in Ruhe lassen. Stattdessen spürte sie ein seltsames Gefühl in ihrer Magengegend, als würde ihr schlecht werden. Ihre Knie begannen weich zu werden.
„Ich kenne Sie nicht“, entgegnete Kyra mit bebender Stimme.
Für jeden Schritt, den sie rückwärtsging, machte der Fremde einen Schritt auf sie zu. Ein Spiel.
„Natürlich nicht“. Er lächelte und entblößte dabei spitze Eckzähne.
Ihr Verstand redete Kyra ein, dass es dunkel war und ihr das matte Licht einen Streich spielte. Ihr Herz jedoch riet ihr zu äußerster Vorsicht, drängte sie zur Flucht.
„Wer zum Teufel sind Sie?“, hauchte sie. Ihre Stimme schien sie im Stich zu lassen.
„Das ist unwichtig. Ich habe dich endlich gefunden.“
Endlich gefunden? Wofür?
Kyra zögerte einen kurzen Augenblick. Dann lief sie weg. In ihrem Kopf hämmerte nur ein einziger Gedanke: Raus aus diesem Wald! Lauf zur Straße!
Doch nach nur wenigen Metern stand der Fremde wieder vor ihr. Sie bremste erschrocken und Schlamm spritzte auf.
„Du kannst nicht weglaufen“, sagte er, als würde er mit einem naiven Kleinkind sprechen. „Nicht vor mir.“
„Was wollen Sie?“, fragte sie mit zitternder Unterlippe. „Ich habe kein Geld. Und wenn Sie mich anfassen, dann werde ich schreien! Wenn mein Hund zurückkommt ...!“
Er ging auf sie zu und diesmal wich sie nicht zurück. Sie wollte es. Aber sie konnte nicht. Es war, als wäre sie am Erdboden festgewachsen. Irgendetwas hatte sie gefangen genommen. Das Gefühl in ihrem Magen wurde stärker. Kyra spürte, dass sie sich nicht mehr lange würde aufrecht halten können. Was war nur los mit ihr?
Als er schließlich vor ihr stand, packte er ihren Hals und
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