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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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zusahen, wie Mickey seine Gartengeräte vom Wagen lud, herrschte wieder dieses Schweigen. Ein Schweigen so dick und schwer wie unsichtbarer Nebel, der sie alle einhüllte. Jane seufzte, ein leiser, zittriger Seufzer, von dem sie hoffte, dass Leslie und Patti ihn nicht bemerkten. Einsamkeit überkam sie. Da saß sie auf der Verandabrüstung ihres Hauses, zusammen mit ihren beiden besten Freundinnen, und sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so allein, so verlassen gefühlt.
    Buddy stellte die Flasche auf die Werkbank seines Vaters in der Garage und betrachtete das Etikett. Seagram’s Gin, 80 Prozent . Dann nahm er die Flasche in die Hand und streichelte sie so zärtlich, als enthielte sie ein kostbares Gut. Was ja auch der Fall war. Dabei verabscheute er das Zeug im Grunde. Trotz des parfümierten Geschmacks brannte es in der Kehle und löste etwas Saures aus, das sich im Magen ausbreitete. Cola war ihm viel lieber, die klassische Cola. Aber eine klassische Cola brachte ihm nicht das, was der Gin ihm brachte. Selbst wenn er die Cola mit Gin mischte, nahm sie der Welt nicht die scharfen Kanten, ließ sie nicht verschwimmen, bescherte ihm nicht diese Nebelhaftigkeit, besänftigte ihn nicht mit zartem Streicheln, ließ ihn nicht angenehm entschweben, während er einfach nur dasaß. Zwei, drei tiefe Schlucke, und er konnte sich süßer Mattigkeit hingeben. Hass und Schmerz brachen ihre Zelte ab, wie arabische Nomaden, und stahlen sich davon.
    Genau das geschah jetzt; all das Ekelhafte stahl sich davon. Das schreckliche Haus, in dem er wohnte, und jenes andere Haus, in dem das Mädchen die Treppe hinuntergestürzt war, von Stufe zu Stufe, mit einem Aufprall, bei dem einem schon vom bloßen Geräusch schlecht werden konnte. Das alles wurde von einem warmen Glanz ersetzt, der sich in seinen Gliedern ausbreitete, als wäre sein Körper eine Energiesparbirne.
    Er sah sich in der Garage um, die sein Vater nie für das Auto benutzt hatte, sondern als Lagerraum für all das Drum und Dran, das für den Erhalt eines Hauses vonnöten war. Rasenmäher, Schubkarre, Schaufeln und Rechen, alle möglichen Geräte, die aufs Geratewohl verstreut waren. Dadurch war es leicht, die Flaschen zu verstecken, die Buddy hier einschmuggelte. Ordnung gehörte nicht zu den Stärken seines Vaters. Wo immer er auch war, hinterließ er eine Spur aus Unordnung und Schutt. Verlor ständig irgendetwas. Hängte seine Kleider nicht auf. Ironischerweise war bei ihnen der Sohn ordentlicher als der Vater. Die Mutter nörgelte mit seinem Vater herum, lag ihm in den Ohren, er solle aufräumen, und hielt ihm den Sohn als leuchtendes Beispiel vor.
    Man beachte die Formalitäten: die Bezeichnung Mutter und Vater, nicht Mom und Dad. Nichts mehr mit: Hallo, Mom, hallo, Dad, wie war’s denn heute so? Was gibt’s zum Abendessen? Schweinekoteletts? Prima. Wir alle mögen Schweinekoteletts. Und dann werden bei Tisch Witze erzählt, wie wir es immer tun. Dads grässliche Witze von sprechenden Tieren, die lustig waren, ohne lustig zu sein. Wie der von dem Känguru, das in der Bar einen Whisky mit Eis bestellt und …
    Lieber Gott.
    Er hatte nicht nur aufgehört, sie Mom und Dad zu nennen. Sprach sie überhaupt nicht mehr an. Nicht mal mit hey . Das musste er korrigieren. Manchmal sagte er zu seiner Mutter Mom , weil ihm das aus alter Gewohnheit so herausrutschte. Wenigstens wohnte sie noch hier. Er hatte eine Schwäche für sie, war ihr aber auch böse. Es war nicht ihre Schuld, sagte Addy. Doch was wusste Addy schon? Addy Walker, fünfzehn Jahre alt. Die kleine Schwester, aber gar so klein war sie nicht, hatte etwas Übergewicht. Und so besonders sympathisch war sie auch nicht. Eine Landplage, um genau zu sein. Kleine Miss Alleswisser. Manchmal hasste er sie geradezu, ihr neunmalkluges Gehabe, ihren Platz auf der Ehrenliste der Schule, das Grinsen, wenn sie die Zeugnisse miteinander verglichen. Buddy schaffte es nur mit knapper Müh und Not, einen Zweier-Durchschnitt zu halten. Immer bestand Gefahr, dass er in zumindest einem Fach durchfiel, und nirgends war er ein richtiges Ass. Addy spielte die Hauptrolle in dem Stück, das ihre Klasse aufführte. Ein Stück, das sie zusammen mit ihrer Englischlehrerin verfasst hatte, Himmel noch mal. Während er sogar Basketball vermasselt hatte. Ein Haarriss in der Kniescheibe bereitete einer möglichen Starkarriere ein jähes Ende.
    Starkarriere? Zum Teufel, er konnte von Glück sagen, dass man ihm gestattet hatte, auf

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