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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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der Bank herumzusitzen. Mit einsfünfundsiebzig zu klein für ein Spiel, das nach Riesen verlangte; zu unkoordiniert in den Bewegungen, mit einem Knie, das gelegentlich unter ihm nachgab, so dass er höchst ungraziös auf den Boden knallte.
    Nimm noch einen zur Brust, Buddy.
    Er setzte die Flasche an die Lippen, zögerte dann. Immer kam der Moment, wenn ein weiterer Schluck einer zu viel war, ihn die Grenze zwischen einem angenehmen Hochgefühl und dem kotzenden Elend überschreiten ließ. Er wusste nie, wann dieser Augenblick gekommen war, welcher Schluck alles verändern würde. Wie neulich im Haus dieses Mädchens. Eben noch alles ganz toll und im nächsten Augenblick ging er kotzend zu Boden. Erbrach sich auf den Teppich von völlig fremden Menschen.
    Er trank trotzdem, aber nur einen kleinen, vorsichtigen Schluck. Prüfend, prüfend. Prüfte den Zustand seines Magens, den Zustand seines Lebens. Beim Schlucken hörte er, wie die Hintertür aufging und dann zuschlug. Benommen schaute er auf die Uhr und sah, dass es drei Minuten nach halb drei war. Addy kam von der Schule nach Hause. Das war unerwartet: Meistens blieb sie länger, beteiligte sich an allen möglichen Freizeitangeboten der Schule. Seine Mutter arbeitete bis fünf im Büro und kam immer erst gegen sechs nach Hause.
    Buddy blieb still sitzen. Sammelte seine Kräfte. Zwinkerte, entspannte sich. Schob die Ginflasche unter den Haufen Krempel auf der Werkbank. Langsam stand er auf und freute sich darüber, dass ihm nur ein wenig schwindlig war. Seit er angefangen hatte zu trinken, war er dahintergekommen, dass er ein erstklassiger Schauspieler war, der sogar in Addys blödem Stück allen anderen die Schau hätte stehlen können. Er war oft ein bisschen high, ein bisschen betrunken, aber keiner merkte was. Höchstens Addy. Sie betrachtete ihn oft mit einem neugierigen Blick, musterte ihn, als wäre er ein Rätsel, das sie nicht lösen konnte.
    »Wie viel trinkst du?«, hatte sie ihn eines Abends gefragt, als er ihr im Obergeschoss auf dem Flur begegnete.
    Im ersten Augenblick war er von ihrer Frage wie vor den Kopf gestoßen, und fast hätte er die Fassung verloren. Nicht: Trinkst du? Sondern: Wie viel trinkst du?
    »Nicht viel«, hatte er hervorgestoßen und sich an ihr vorbeigedrückt.
    Daher war er in ihrer Gegenwart immer ganz besonders vorsichtig. Meistens versuchte er, ihr aus dem Weg zu gehen, was jedoch manchmal schwierig war. Es kam ihm so vor, als versuchte sie, ihn ausfindig zu machen.
    Mit anderen Leuten, vor allem Lehrern, war es anders. Er stellte fest, dass man sich in jeder Situation durchschummeln konnte, wenn man nur höflich war, nicht viel sagte und Pfefferminzbonbons oder Kaugummi kaute. Außerdem bestand der Trick darin, diesen einen, zusätzlichen Schluck nicht mehr zu trinken, so wie jetzt. Man musste wissen, wann es so weit war. Er hatte im richtigen Augenblick aufgehört, als Addy unerwartet nach Hause kam.
    Die Tür zwischen Hausflur und Garage ging auf. Addy steckte den Kopf herein. Ein Clownsgesicht, rund, mit Sommersprossen übersät. Sie würde nie einen Schönheitswettbewerb gewinnen.
    »Was machst du denn da?«, fragte sie misstrauisch und sah sich in der Garage um. »Lieber Gott, du führst dich in letzter Zeit ganz schön wunderlich auf!«
    »Tun wir doch alle«, gab er zurück. Sein Geheimtipp: kurze Sätze.
    »Du bist aber am merkwürdigsten«, sagte sie. Runzelte die Stirn und fragte: »Hast du getrunken?« Sog schnuppernd die Luft ein.
    Er hatte es verabsäumt, sich etwas in den Mund zu stecken, hatte nicht damit gerechnet, dass Addy ihn in der Garage aufspüren würde. Jetzt presste er die Lippen zusammen, versuchte durch die Nase zu atmen. Machte sich an der Werkbank zu schaffen, als suchte er nach etwas.
    »Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten«, sagte er und betonte dabei jedes Wort einzeln, damit sie begriff, dass er es wirklich so meinte.
    Komisch, meistens kümmerten sie sich tatsächlich um ihre eigenen Angelegenheiten. Tagelang sprachen sie kaum ein Wort miteinander. Zumindest war das in der guten, alten Zeit so gewesen. Jetzt nicht mehr, nicht in der neuen, schlechten Zeit. In letzter Zeit spürte Addy ihm nach, kam plötzlich hereingeplatzt, weil sie früh von der Schule nach Hause gekommen war. So wie heute, an diesem Nachmittag.
    »Hoffentlich fährst du nicht auch noch Auto, wenn du getrunken hast«, sagte Addy. »Das wäre wirklich das Dümmste, was es auf der Welt gibt.«
    »Ich fahre nicht,

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