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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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Handfläche lag das dreckige blaue Kauspielzeug, das Snowball immer so eifrig apportierte. »Er ist gar nicht weggelaufen«, zischte Emily. »Du hast ihn vorne rausgelassen. Und dann hast du das Spielzeug geworfen, als gerade ein Auto gekommen ist. Du hast ihn umgebracht!«
    »Das ist doch absurd«, erwiderte Rachel.
    Emily explodierte. »Tu nicht so verdammt unschuldig! Du hast ihn umgebracht! Du miese, herzlose, kleine Schlampe hast meinen Hund umgebracht!«
    All die Jahre der Zurückhaltung brachen aus ihr heraus. Emily beugte sich vor und zerrte Rachel gewaltsam vom Küchenstuhl. Dann holte sie aus und schlug sie heftig ins Gesicht. »Du hast ihn umgebracht!«, brüllte sie noch einmal und schlug Rachel erneut, diesmal noch fester. »Wie konntest du mir das antun?«
    Sie schlug sie wieder. Und wieder – immer wieder.
    Rachels Wange war knallrot, und die Abdrücke von Emilys Fingern zeichneten sich darauf ab. Blut sickerte von ihrer Unterlippe. Aber sie wehrte sich nicht. Sie stand nur da, mit kaltem, unbeteiligtem Blick, und zuckte nicht einmal zusammen, wenn sie ein neuer Schlag traf Sie nahm die Strafe hin, bis Emilys Wut schließlich verraucht war. Emily stolperte zurück und starrte ihre Tochter an, dann wandte sie sich ab und vergrub das Gesicht in den Händen. Plötzlich war es wieder ganz still im Raum.
    Emily hielt eine Hand mit der anderen umklammert. Im Rücken spürte sie Rachels Blick. Dann stolzierte ihre Tochter ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Emily hörte sie die Treppe hinaufgehen und gleich darauf das Rauschen in den Leitungen, als sie im Bad das Wasser aufdrehte.
    Emily hatte sich einmal geschworen, so etwas niemals zu tun, ganz egal, wie schlimm die Dinge zwischen ihnen standen.
    Und nun hatte sie es doch getan.
    »Mrs Stoner?«, sagte Bird Finch noch einmal. »Gibt es etwas, das Sie Rachel jetzt gerne sagen würden?«
    Emily schaute mit leerem Blick in die Kamera. Tränen traten ihr in die Augen und rannen ihr über die Wangen. Die Fernsehzuschauer glaubten, den Schmerz einer Mutter zu sehen, die die größte vorstellbare Qual erleiden musste: den Verlust ihres Kindes. Sie wussten ja nichts von der Wahrheit.
    »Ich glaube, ich würde ihr sagen, dass es mir Leid tut«, murmelte Emily.

2
    Am späten Freitagabend saß Stride allein in seinem Büro im Kellergeschoss der Stadtverwaltung. Die verchromte Schreibtischlampe warf einen kleinen Kreis aus Licht auf die Akten, die er zu lesen versuchte. Er war noch einmal ins Büro gekommen, um einigen Papierkram zu erledigen und die Berichte zu anderen Straftaten zu lesen, die in den Wochen seit Rachels Verschwinden geschehen waren. Es handelte sich fast nur um simple Fälle: Ehekräche, Autodiebstähle, Einbrüche – Dinge, die er bedenkenlos an die sieben Sergeants delegieren konnte, deren Vorgesetzter er war. Aber inzwischen machte ihm die reine Masse zu schaffen. Vor lauter Akten und Papieren sah er das pockennarbige Holz seiner Schreibtischplatte schon nicht mehr.
    In den anderen Büros hier unten war es ruhig. Seine Mitarbeiter waren längst zu Hause. Stride war am liebsten abends hier, wenn es ganz still war und das Telefon nicht mehr klingelte. Stören konnte ihn dann nur das Vibrieren seines Pagers, das ihn immer wie ein kleiner Stromschlag durchfuhr und ihm all das Schreckliche in Erinnerung rief, das überall in der Stadt passierte. Tagsüber verbrachte er nur wenig Zeit im Büro. Das Dezernat war nicht besonders groß, an wichtigen Ermittlungen musste er sich selbst beteiligen. Ihm war das ganz recht. Er war gern an der Front, wo noch richtig gearbeitet wurde. Die anfallende Verwaltungsarbeit erledigte er zu irgendwelchen merkwürdigen Zeiten, wenn er sicher sein konnte, dass ihn niemand störte.
    Und die Stadtverwaltung sorgte auch nicht gerade für eine angenehme Umgebung. Die Schaumgummiplatten an der Decke hatten Wasserflecken von den vielen Malen, als eine Leitung undicht geworden und Wasser auf seinen Schreibtisch getropft war. Der stahlgraue Teppichboden roch leicht schimmelig. Strides Büro war gerade so groß, dass noch ein Besucherstuhl darin Platz hatte – der einzige Punkt, in dem sich das Büro eines Lieutenants von dem eines Sergeants unterschied. Er hatte sich keine weitere Mühe gegeben, seinen Arbeitsplatz mit Postern und Familienfotos zu verschönern, wie es die meisten anderen Polizisten taten. An seiner Korkpinnwand hing nur ein altes Foto von Cindy, und selbst das war halb verdeckt von den neuesten Mitteilungen

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