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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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hochgeschoben, und er sah ihre bloßen, wohlgeformten Unterarme, die schmal, aber dennoch muskulös waren.
    Sie spürte seinen Blick und hob den Kopf. Schweigend sahen sie einander in die Augen.
    Stride fragte sich, wie sie ihn wohl sah. Er wusste, dass ihn viele Frauen attraktiv fanden. Cindy hatte ihm das immer wieder gesagt, auch wenn er es nicht richtig nachvollziehen konnte.
    Er hatte keine glatten, ebenmäßigen Gesichtszüge, sondern sah eher aus wie ein Seemann, der zu viele Unwetter mit zusammengekniffenen Augen durchgestanden hatte. Wie sein Vater. Wenn er zum Friseur ging und sich die Haare schneiden ließ, lagen anschließend jedes Mal mehr graue Strähnen auf dem Boden. Wenn er sich bewegte, tat ihm hier und da etwas weh, und die acht Jahre alte Schussverletzung schmerzte stärker als früher. Er wurde langsam alt, daran bestand kein Zweifel. Aber irgendetwas in Andreas offenem Blick ließ die Jahre dahinschmelzen.
    Sie lehnte sich im Stuhl zurück, ohne die Augen von ihm abzuwenden, und legte beide Hände an den Mund. »Das alles ist mir ein bisschen peinlich«, sagte sie leise.
    Stride blickte erstaunt drein. »Warum denn?«
    Andrea lachte und sah ihn dann mit einem halben Lächeln an. »Ich hoffe, du denkst jetzt nicht, dass ich ständig Männer in Spielkasinos aufreiße und anschließend mit ihnen schlafe.«
    »Ach so«, sagte Stride. »Das tut mir Leid. Ich hätte das nicht zulassen dürfen. Du warst betrunken. Es war nicht richtig von mir.«
    »Wir waren beide betrunken«, sagte Andrea. »Und wir wollten es beide. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Aber mir ging es am nächsten Tag nicht besonders gut. Ich hatte das Gefühl, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben.«
    »Hast du nicht«, sagte Stride.
    »Soll ich dir mal was ganz Furchtbares sagen?«, fuhr sie fort. »Irgendwie hat es mich geärgert, als du mir erzählt hast, dass deine Frau gestorben ist.«
    Stride warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Das verstehe ich nicht.«
    »Cindy ist gestorben, und du konntest nichts dagegen machen. Es hatte nichts mit dir zu tun. Du brauchst dir wenigstens nichts vorzuwerfen. Mein Mann hat mir auch das genommen.«
    Stride schüttelte den Kopf. »Aber es war doch nicht deine Schuld, sondern seine. So wie das klingt, ist er ein egoistischer Mistkerl.«
    »Ja, ich weiß. Aber ich vermisse ihn trotzdem. Du hältst mich jetzt wahrscheinlich für ziemlich blöd.«
    »Ich bin mindestens genauso blöd«, sagte Stride. »Hör mal, warum gehen wir nicht gleich was essen? Ich bin verdammt hungrig, und bei Briar Patch gibt es ein Steak, das einem auf der Zunge zergeht. Und das Bier ist eiskalt.«
    Andrea nickte. »Das klingt gut. Ich glaube, ich habe auch genug für heute. Ich schließe die Klausuren nur schnell im Lehrerzimmer ein, dann können wir gehen.«
    Sie gingen gemeinsam hinaus auf den leeren Schulflur. Stride hörte ferne Geräusche wie von einem Basketballspiel, sah aber nichts und niemanden. Die Beleuchtung war schwach und dämmrig, und draußen vor dem Fenster gähnte die Nacht wie ein riesiges schwarzes Ungeheuer.
    Sie gingen die Treppe in den zweiten Stock hinauf, wo sie sich in einem weiteren dämmrigen, leeren Flur wiederfanden. Andrea schloss eine Tür gleich gegenüber der Treppe auf und schaltete drinnen das Licht an. Das Büro war ganz voll geräumt mit Metalltischen, Aktenschränken und Bücherregalen mit naturwissenschaftlichen Lehrbüchern. Andrea ging zu einem Tisch am Fenster hinüber, zog die unterste Schublade auf und legte den Stapel Klausuren hinein. Stride sah, dass an der Wand neben dem Schreibtisch das Foto eines Mannes hing. Er vermutete, dass es ihr Exmann war.
    »Fertig«, sagte Andrea.
    Sie schaltete das Licht aus und schloss die Tür wieder ab.
    Auf dem Weg zur Treppe sah Stride aus einer Bürotür am anderen Ende des Ganges Licht nach draußen schimmern. Andrea merkte, dass er zögerte. »Was ist denn?«
    »Wahrscheinlich gar nichts.« Trotzdem verspürte er plötzlich eine Welle der Besorgnis. So war es nach ein paar Jahren in seinem Beruf: Man entwickelte einen siebten Sinn dafür, wenn etwas nicht in Ordnung war.
    »Kommt das Licht da nicht aus Nancy Carvers Büro?«, fragte er Andrea.
    Sie sah das Licht am Ende des Ganges erst jetzt. »Sieht ganz so aus.«
    Stride kniff die Augen zusammen. »Das kommt dir jetzt vielleicht seltsam vor, Andrea. Aber warte einen Augenblick hier auf mich, okay? Ich will nur mal nachschauen.«
    »Wenn du meinst.«
    Sie lehnte sich an

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