Unmoralisch
wirklich, dass es wichtig sein könnte?«, fragte Sally. »Das ist doch total verrückt.«
Maggie hätte die Worte am liebsten aus ihr herausgeschüttelt, aber sie streichelte nur sanft ihre Hand und wartete.
Sallys Unterlippe bebte. »Vor etwa sechs Monaten bin ich draußen vor der Stadt Fahrrad gefahren. Das mache ich manchmal. Ich fahre raus, stelle das Auto ab und fahre mit dem Fahrrad durch den Wald. Am Sonntagmorgen ist es da ziemlich einsam, aber ich dachte immer, es wird schon nicht so schlimm sein.«
Maggie beugte sich vor. Dann war es also gar kein Schulfreund gewesen, sondern ein Psychopath? Sie dachte an Kerry McGrath und versuchte, ihrem Blick einen Ausdruck zu geben, der in etwa besagte: Ganz schön blöd von dir, Kleine. »Und dann?«, fragte sie.
»Dann ist mir die Kette gerissen. Und jemand hat mich mitgenommen.«
»Jemand?«
Sally nickte. »Ich … kannte ihn, deshalb hatte ich keine Angst.«
»Du bist also freiwillig mitgefahren?«, sagte Maggie.
»Ja. Ich war kilometerweit weg von meinem Wagen.«
»Hat er irgendwas versucht?«
Sally zögerte. »Gewissermaßen. Also, nein, eigentlich nicht. Aber er ist mit mir zur Scheune gefahren.«
In Maggies Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Sie spürte, dass sie eine Gänsehaut bekam, wie es immer passierte, wenn ein Fall vor dem entscheidenden Durchbruch stand. Jetzt würden sie endlich, endlich Antworten bekommen.
»Was ist passiert, Sally?«
Sally schluckte schwer. Sie starrte auf ihre Hände, die sie auf dem Tisch gefaltet hatte, und sah mit einem Mal sehr jung aus. Seltsam, dachte Maggie, wie diese Teenager manchmal so reif und erwachsen wirken konnten und dann, wenn man nur ein bisschen die Oberfläche ankratzte, plötzlich wieder zu Kindern wurden.
»Wir haben nur geredet. Er hat gesagt, wie hübsch ich aussehe. Er hat gesagt, das wäre ein richtig heißes Outfit und ich wäre ja offensichtlich gut in Form. Aber irgendwie hat er das alles … zu ernst gemeint. Es hat ganz harmlos angefangen, aber irgendwann ist es dann richtig unangenehm geworden.«
Maggie nickte. »Gut, und was ist dann passiert?«
»Na ja, wir waren fast an der Straße, die zur Scheune führt. Er hat mich gefragt, ob ich da schon mal gewesen bin. Ich habe Nein gesagt. Dann hat er halb im Scherz gesagt, wir könnten ja mal hinfahren und nachsehen, ob es da gerade ein Pärchen treibt. Und dann ist er tatsächlich abgebogen und hingefahren. Ich habe gedacht, ich werde gleich wahnsinnig.«
»Hast du irgendwas gesagt?«
Sally schüttelte den Kopf. »Ich hatte viel zu viel Angst.«
»Also ist er mit dir zur Scheune gefahren«, sagte Maggie.
»Ja. Hinter der Scheune hat er gehalten. Ich wäre am liebsten weggelaufen. Aber er hat gar nichts gemacht. Er hat einfach geredet, irgendwelchen Smalltalk. Ich hatte das Gefühl, er überlegt, was er jetzt am besten mit mir anstellt.«
»Hattest du Angst, er könnte dich vergewaltigen?«, fragte Maggie.
»Ich weiß nicht genau, was ich gedacht habe. Es war einfach nur unheimlich.«
»Aber am Ende ist nichts passiert.«
Sally nickte. »Ein anderes Auto hat hinter uns gehalten. Da ist er weggefahren. Ich hatte das Gefühl, er will nicht erkannt werden, wissen Sie? Für den Rest der Fahrt hat er kein Wort mehr zu mir gesagt. Er ist zu meinem Auto gefahren und hat mich dort abgesetzt. Das war alles.«
»Es ist also eigentlich nichts zwischen euch passiert?«
Sally schüttelte den Kopf. »Nein. Wie gesagt, ich hatte das Gefühl, dass er was vorhat. Aber als dann alles vorbei war, habe ich gedacht, dass ich mir das vielleicht nur eingebildet habe.«
Maggie griff wieder nach Sallys Hand. »Ich muss unbedingt wissen, wer das war.«
»Ich weiß«, sagte Sally. »Ich hatte auch überlegt, ob ich was sagen soll, aber … ich habe wirklich nicht gedacht, dass es so wichtig ist. Wissen Sie, ich hatte mir schon eingeredet, dass ich spinne und dass er eigentlich gar nichts von mir wollte.«
»Aber jetzt denkst du das nicht mehr.«
»Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
»Gut«, sagte Maggie. »Hat euch jemand zusammen gesehen? Hast du das Auto erkannt, das hinter euch gehalten hat?«
Sally schüttelte den Kopf. »Er ist zu schnell losgefahren.«
»Sag es mir, Sally. Ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas tut. Wer war es?«
Sally beugte sich vor und flüsterte ihr einen Namen ins Ohr.
Maggie nahm, ohne zu zögern, ihr Handy aus der Manteltasche und wählte Strides Nummer.
9
Am Montagabend verließ Stride das
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