Unnatural History
ihnen war bereit zu töten, um den Fluchtweg freizuhalten und gegebenenfalls eine Geisel zu nehmen. Mit was für Männern hatten sie es hier zu tun? In Ermangelung jeglicher Ahnung trotz seines sonst unfehlbaren sechsten Sinnes war Ulysses klar, dass es in Galapagos´ Büro nichts weiter Wissenswertes für ihn geben konnte. Ohnehin gab es hier zu viel Ablenkung; das Durcheinander der Papiere wies auf mehrere unaufgeklärte Mysterien der wissenschaftlichen Welt hin, ebenso die leblosen Exponate inmitten ihres zerbrochenen Glases, Geneviève …
»Wo ist die Antwort? Was fehlt hier?«
Ulysses war allmählich frustriert. Gab es hier in diesem Tohuwabohu denn wirklich nichts mehr, woraus er noch Schlüsse ziehen konnte? Das Ausmaß eines Verbrechens kann immer aufgrund des Trümmerhaufens seiner Beweismittel zurückgeführt werden, die es zurückließ. Ein Verbrechen hinterließ immer Spuren, ein Verbrecher seine Fingerabdrücke, auch wenn die Ermittler ihn nicht immer erkennen konnten. Was also war es, das Ulysses hier fehlte?
Mit einem enttäuschten Knurren wandte er sich plötzlich auf dem Absatz um und verließ das Büro.
»Ulysses?« Genevièves besorgte Stimme folgte ihm.
Dann fühlte er es; ein unangenehmes prickelndes Gefühl bereitete ihm Gänsehaut und ließ die Haare in seinem Nacken zu Berge stehen. Er festigte den Griff um seinen Gehstock, die Fingerknöchel traten weiß hervor. Es war dieselbe Empfindung, die er bereits schon bei seinem ersten Betreten des Tatortes verspürt hatte; das Gefühl, als würde jemandes Blick ihm folgen, in der Stille und der Leere des Museums nunmehr verstärkt, so als würden Fingernägel im Inneren seines Schädels entlang schaben.
Handelte es sich um den Killer? War er zurückgekehrt? Oder war Ulysses’ Verdacht von Anfang an richtig und der Killer nie fort gewesen?
»Ulysses, was ist los?«
Er starrte ausdruckslos vor sich hin, die Taschenlampe deutete auf den Boden. Geneviève stellte sich an seine Seite.
»Bleiben Sie nah bei mir«, flüsterte er.
»Hier ist noch jemand, nicht wahr?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher.«
Dunkle Augen beobachteten, wie die beiden Gestalten die Galerie unterhalb der Ruinen des durchwühlten Raumes erkundeten. Ein Lichtstrahl schnellte in all die düsteren Tiefen der zahlreichen Nischen und hinter glitzernde Vitrinen. Der Beobachter erkannte den Mann; groß gewachsen, selbstsicher, seine Schritte so entschlossen, als ob ihm die Galerie und das ganze Museum gehören würden. Er erinnerte sich, ihn schon früher am Tage gesehen zu haben. Allerdings war ihm die kleinere Frau fremd, die ängstlich neben ihm her huschte. Sie roch nach Angst und nach etwas … Verborgenem.
Der Beobachter zog sich hinter den gusseisernen Deckenbalken zurück. Sein primitives Gespür verriet ihm, dass er es wohl war, nach dem gesucht wurde, und dass der Eindringling hartnäckig sein würde. Er würde nicht nachlassen, bis er gefunden hatte, wonach er suchte; bis er den Beobachter zur Strecke gebracht hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der umherfegende Lichtstrahl auch sein Versteck aufdecken würde.
Langsam, aber sicher frustrierte auch ihn seine Zwangsunterbringung in dem Museum. Ständig wechselte er seine Position. Er wollte seine Glieder strecken, seinen Körper … entdecken, wozu er fähig war. Auch sein Verstand veränderte sich. Es war es inzwischen leid, nur zuzusehen, während andere sein Territorium durchquerten. Die Begierde, die Eindringlinge von der Galerie zu stoßen, ihnen zu zeigen, wer hier die dominante Spezies war, wuchs stetig. Er zog die Lippen von den zusammengebissenen Zähnen zurück und ein böses Grollen drang tief aus seiner zurückgebildeten Kehle.
Schattengestalten flackerten und krümmten sich an den Wänden. Ulysses´ suchender Lampenschein fokussierte sich plötzlich auf blanken Zähnen, die in wütendem Knurren gebleckt waren, Augen starrten ihm in offensichtlichem Trotz entgegen. Das Gesicht, das in dem kalten Licht auftauchte, hatte wenig menschliches, sein Ausdruck verzerrte es zum Sinnbild bestialischer Wut.
Ulysses lehnte sich vor und lenkte den Lichtstrahl direkt in die Glasaugen hinein. Die Kreatur blinzelte nicht einmal.
»Alles klar«, sagte er und las von einem Schild laut vor: »Homo Neanderthalensis, beheimatet in der Mitte der Altsteinzeit. Obgleich vor 29.000 Jahren ausgestorben, wurde diese Inzestfamilie im Ural um neunundsechzig gefunden.«
Geneviève spähte hinter seinem Rücken auf
Weitere Kostenlose Bücher