Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
vor. Da aber diese weniger gut sind als die tatsächliche Welt, so wäre die Wahl einer von ihnen mit Gottes Güte unvereinbar gewesen; sollen wir daraus nun schließen, dass Gott nicht unbedingt gut ist? Leibniz kann das kaum sagen, denn, wie andere Philosophen, so hält auch er es für möglich, wichtige Fragen wie die nach dem Wesen Gottes, durch bloßes Stillsitzen und Nachdenken zu lösen; allein er scheut vor dem Determinismus zurück, den diese Überlegung mit sich bringt. Daher flüchtet er sich in Dunkelheit und Zweideutigkeit. Einen scharfen Widerspruch vermeidet er mit großem Geschick, aber um den Preis zwielichtiger Unklarheit, die sein ganzes System durchzieht.
2.
Zum Wegbereiter einer neuen Apologie wurde der liebenswürdige Bischof Berkeley, der die Materialisten seiner Zeit mit Argumenten angriff, die in unserer Zeit von Sir James Jeans wieder aufgenommen worden sind. Er verfolgte einen doppelten Zweck: erstens, zu beweisen, dass es so etwas wie die Materie nicht gibt, und zweitens, aus dieser negativen Behauptung die notwendige Existenz Gottes abzuleiten. Zum ersten Punkt sind seine Argumente bis heute unbeantwortet geblieben; doch zweifle ich, ob er sie überhaupt vorgebracht hätte, wenn er sich davon nicht eine Unterstützung der theologischen Orthodoxie versprochen hätte.
Wenn wir meinen, einen Baum zu sehen, so ist nach Berkeley das, was wir wirklich kennen, nicht ein äußerer Gegenstand, sondern eine Modifikation unseres Selbst, eine Empfindung, oder, wie er es nennt, eine »Idee«. Diese ist das einzige, was wir unmittelbar wissen; sie hört auf, wenn wir die Augen schließen. Was immer wir wahrnehmen können, ist in unserem Inneren; es ist kein materieller äußerer Gegenstand. Daher ist die Materie eine unnötige Hypothese. Wirklich an dem Baum sind nur die Wahrnehmungen jener, die ihn vermeintlich »sehen«; das übrige ist unnötige Metaphysik.
Bis hierher ist Berkeleys Beweisführung scharfsinnig und zum großen Teil stichhaltig. Aber nun fährt er plötzlich in einem anderen Ton fort und verfällt nach diesem kühnen Paradoxon wieder in die Vorurteile der unphilosophischen Köpfe, um darauf seine nächste These zu gründen. Er empfindet es als widersinnig, dass Bäume und Häuser, Berge und Flüsse, Sonne, Mond und Sterne nur existieren sollen, solang wir sie ansehen – denn darauf laufen seine vorhergehenden Argumente hinaus. Es muss, so meint er, physischen Gegenständen eine gewisse Dauer eigen sein, und eine gewisse Unabhängigkeit vom Menschen. Die verschafft er ihnen durch die Annahme, der Baum sei in Wirklichkeit eine Idee im Geist Gottes und existiere daher weiter, auch wenn kein Mensch ihn ansieht. Die Folgen seines eigenen Paradoxons wären ihm, wenn er sie aufrichtig akzeptiert hätte, schrecklich erschienen; so aber bewahrt er durch eine plötzliche Wendung die Orthodoxie, und bis zu einem gewissen Grad auch den gesunden Menschenverstand.
Dieselbe Angst vor skeptischen Folgen ihrer eigenen Lehren bewiesen alle seine Nachfolger mit Ausnahme Humes; seine modernsten Jünger sind in dieser Hinsicht keinen Schritt über ihn hinausgekommen. Keiner will zugeben, dass ich, wenn ich schon nur »Ideen« kenne, doch nur meine eigenen Ideen kenne und deshalb keinen Grund habe, an die Existenz irgendwelcher Dinge zu glauben, ausgenommen meine eigenen Geisteszustände. Jene, die die Gültigkeit dieses sehr einfachen Arguments zugaben, sind keine Berkeley-Schüler gewesen, da ihnen eine solche Schlussfolgerung unerträglich schien; sie vertraten daher die Ansicht, dass wir nicht nur »Ideen« kennen. [1]
Hume, das enfant terrible der Philosophie, fiel dadurch aus dem Rahmen, dass seine Philosophie keine metaphysischen Hintergründe hatte. Er war ebenso sehr Historiker und Essayist wie Philosoph, war von gelassener Gemütsart und es bereitete ihm vielleicht ebensoviel Vergnügen, die Erfinder von Trugschlüssen zu verstimmen, wie ihm die Erfindung eigener Trugschlüsse bereiten hätten können. Das Hauptergebnis seiner Tätigkeit jedoch war, dass sie das Entstehen zweier neuer trügerischer Denkrichtungen förderte, einer in England und einer in Deutschland. Die deutsche ist die interessantere von beiden.
Der erste Deutsche, der von Hume Notiz nahm, war Immanuel Kant, der sich bis zu seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr mit der von Leibniz übernommenen dogmatischen Tradition begnügt hatte. Dann, wie er selbst sagt, »erweckte Hume ihn aus seinem dogmatischen
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