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Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Titel: Unpopuläre Betrachtungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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erklärt.
     
    3.
     
    Die meisten Philosophen sind von Natur aus furchtsam und misstrauen dem Unerwarteten. Wenige von ihnen würden als Piraten oder Einbrecher wirklich glücklich sein. Demgemäß ersinnen sie Systeme, die die Zukunft wenigstens in großen Zügen errechnen lassen. Der vollendete Meister dieser Kunst war Hegel. Für ihn waren der Gang der Logik und der Lauf der Geschichte im Großen und Ganzen identisch. Die Logik bestand für ihn in einer Reihe sich verbessernder Versuche, die Welt zu beschreiben. Wenn der erste Versuch zu primitiv ist, was er gewiss sein wird, so wird man finden, dass er sich selbst widerspricht; dann wird man es mit dem Gegenteil, der »Antithese«, versuchen, aber auch sie wird sich selbst widersprechen. Das führt zu einer »Synthese«, die etwas von der ursprünglichen Idee und etwas von ihrem Gegenteil enthält, aber komplizierter ist und sich selbst zugleich weniger widerspricht, als die beiden früheren. Diese neue Idee wird sich jedoch ebenfalls als unzulänglich erweisen, und man wird durch ihr Gegenteil zu einer neuen Synthese getrieben werden. Dieser Vorgang setzt sich fort, bis man die »Absolute Idee« erreicht, in der es keinen Widerspruch gibt und die daher die wirkliche Welt beschreibt.
    Aber die wirkliche Welt ist bei Hegel wie bei Kant nicht die Erscheinungswelt. Die Erscheinungswelt macht dieselben Entwicklungen durch wie der Logiker, der vom Reinen Sein zur Absoluten Idee vorstößt. Das Reine Sein wird veranschaulicht durch das alte China, von dem Hegel nur wusste, dass es existiert hatte; die Absolute Idee hingegen durch den preußischen Staat, der Hegel eine Professur in Berlin verliehen hatte. Warum die Welt diese logische Entwicklung durchmachen soll, ist nicht klar; man ist versucht, zu glauben, dass die Absolute Idee sich zunächst selber nicht ganz verstand und Fehler beging, als sie versuchte, sich in Ereignissen zu manifestieren. Aber das hätte Hegel natürlich nicht gesagt.
    Hegels System befriedigte die Instinkte der Philosophen mehr als alle seiner Vorgänger. Es war so dunkel, dass keine Dilettanten hoffen durften, es jemals zu verstehen. Es war optimistisch, da die Geschichte ein Fortschritt in der Entfaltung der Absoluten Idee ist. Es zeigte, dass der Philosoph, der in seiner Studierstube über abstrakte Probleme nachdenkt, von der wirklichen Welt mehr wissen kann als der Staatsmann, der Historiker oder der Naturwissenschaftler. Was das letztere betrifft, so muss zugegeben werden, dass da ein peinliches Versehen unterlief. Hegel veröffentlichte seinen Beweis, dass es genau sieben Planeten gebe, gerade eine Woche vor der Entdeckung des achten. Die Sache wurde vertuscht, und eine neue, umgearbeitete Auflage hastig vorbereitet; immerhin gab es einige Spötter. Aber trotz dieses unglücklichen Zufalls blieb Hegels System eine Zeitlang in Deutschland siegreich. Als man es in seinem Ursprungsland fast vergessen hatte, begann es sich an den englischen und amerikanischen Universitäten durchzusetzen. Heute aber sind seine Anhänger ein kleines und rasch schwindendes Häuflein. Im Bewusstsein der akademischen Welt wurde es von keinem folgenden großen System
    mehr abgelöst, und heute wagen nur mehr wenige zu behaupten, dass der Philosoph durch bloßes Denken ohne Beobachtung die Irrtümer des Naturwissenschaftlers entdecken könne.
    Außerhalb der Universitäten jedoch erhob sich ein letztes großes System aus Hegels Asche und hat in weiten Kreisen den unbeschwerten Glauben an die Macht des bloßen Denkens wachgehalten, den unsere Professoren verloren haben. Dieser letzte Überlebende einer fast ausgestorbenen Spezies ist die Lehre von Karl Marx. Marx übernahm von Hegel den Glauben an die Dialektik, das heißt, an logische Entwicklung durch These, Antithese und Synthese, die in der Menschheitsgeschichte und nicht nur im abstrakten Denken zum Ausdruck kommt. Für Hegel, der an der Spitze seiner Kollegen stand und die Verehrung seiner Landsleute genoss, war es möglich, im preußischen Staat das Ziel zu sehen, dem alle früheren Anstrengungen zustrebten; aber für Marx, der arm und krank war und in der Verbannung lebte, war es klar, dass die Welt noch nicht vollkommen ist. Noch eine Umdrehung des Rades der Dialektik – das heißt, noch eine Revolution – ist nötig vor der Erringung des tausendjährigen Reiches. Es kann kein Zweifel sein, dass diese Revolution stattfinden wird, denn Marx betrachtete wie Hegel die Geschichte als einen logischen

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