Unscheinbar
Kundschaft kommt?“ Ein leichtes Grinsen zuckte um Bens Mundwinkel, als Walters Augen immer grösser wurden. Emma fürchtete bereits, die Augen würden ihm aus dem Kopf fallen, da riss Walter die Arme hoch. Wie ein Affe schlug er sie grob um Bens Oberkörper und klopfte ihm dabei immer wieder fest auf den Rücken.
Sehr männlich. Und irgendwie reif für den Urwald.
„Mein guter Junge! Wo kommst du denn auf einmal wieder her? Und was bringst du uns Leckeres ins geheiligte Tal?“
Emma fürchtete Schlimmes.
Und sie sollte recht behalten. Walter liess von Ben ab und steuerte direkt auf sie zu.
Herrje.
Die Arme hoben sich erneut und sausten grob, aber herzlich auf sie nieder. Ehe sie sich‘s versah, wurde sie vom Schimpansenmännchen geherzt, dass sie kaum mehr Luft bekam. Hilfesuchend versuchte sie sich nach Ben umzuschauen. Sie entdeckte ihn dort, wo Walter ihn stehen gelassen hatte. Er trug ein breites Lachen zur Schau.
Ja, es sah bestimmt tierisch amüsant aus. Im wahrsten Sinne des Wortes.
„Walter, lass sie runter. Du erdrückst sie noch.“
Runter? Tatsächlich, der Boden unter ihren Füssen war irgendwie weg.
Walter setzte Emma unsanft ab. Als er sie los liess, hatte sie kurzzeitig etwas Mühe mit dem Gleichgewicht.
„Da lässt du dich fünf Jahre lang nicht mehr blicken und dann bringst du uns sowas? Wo hast du dieses blonde Prachtstück denn her?“
„Genaugenommen gehört sie nicht zu mir, sie ist unabhängig hier aufgetaucht. Wir haben uns zufällig kennengelernt.“
Walter wackelte wissend mit den buschigen, dunklen Augenbrauen.
„Hör auf mit deinen Augenbrauen zu wackeln. Es ist so, wie ich es sage.“
Wurde er etwa verlegen?
Fasziniert beobachtet Emma Bens Verhalten. Wie ein Schuljunge stand er da, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
Walter war kaum der Vater. Aber vielleicht eine Art Vaterfigur?
Oder eine sehr enge Vertrauensperson. Das würde passen.
„Zudem braucht sie Hilfe.“
Walter prustete. Sein ganzes Gesicht legte sich in Runzeln. Emma fühlte sich spontan an einen Faltenhund erinnert.
„Eine hübsche Unbekannte, die zufällig auch noch in Not geraten ist. Daraus werden Filme gemacht, mein Lieber!“ Walter wedelte wage mit der Hand. „Nimm, was du brauchst. Aber bring’s wieder.“
Gesagt, getan. Ben sammelte sich das Nötige zusammen und stopfte es in einen alten Rucksack, den er an einem Haken hinter der Tür entdeckt hatte. Ohne Vorwarnung warf er Emma den Rucksack zu. Sie reagierte prompt und verhinderte im letzten Augenblick, dass der Behälter auf den Boden klatschte.
„Zieh ihn an.“ Ben stapfte an ihr vorbei, auf den Ausgang zu.
Emma blieb überrumpelt zurück, was Walter nicht entging.
„Du sitzt hinten, was?“
Ah, natürlich.
„Stimmt. Er kann das Ding nicht anziehen, weil er mich schon an hat.“
Da war er wieder, der Faltenhund.
Emma konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern und anschliessend Ben eiligst hinterher zu rennen, denn draussen dröhnte bereits der mittlerweile altbekannte Motor. Doch auf halbem Weg hielt sie inne. Sie zerrte ihre kleine Brieftasche aus der Innentasche ihrer Jacke, öffnete sie eilig und sah Walter fragend an. „Wie viel macht das, was Ben sich zusammengesucht hat?“
Walter war sichtlich erstaunt. „Himmel, lass stecken! Die Ersatzteile gehen selbstverständlich aufs Haus und das Werkzeug bringt er mir zurück.“
Als Emma zögerte, fügte Walter an: „Im Ernst. Und jetzt verschwinde, sonst fährt der Junge noch ohne dich los.“
Emma überlegte kurz. Sie steckte ihre Finger in eines der hintersten Fächer des sowieso schon winzigen Portemonnaies. Da heulte draussen der Motor auf.
Emma verstand. Sie musste los. Sofort. Hastig zog sie eine Visitenkarte hervor, drückte sie Walter in die Hände. „Da steht meine Telefonnummer drauf. Für den Fall der Fälle.“ Eilig steckte sie die Brieftasche zurück an ihren Platz, schenkte Walter noch ein Lächeln und verschwand durch die Tür.
Während sich das Motorengeräusch rasch entfernte, drehte Walter kopfschüttelnd die Karte in den Händen. Schliesslich legte er sie beiseite. Da fiel sein Blick auf ein zerfleddertes Stück Papier. Es lag auf dem Boden, direkt vor seinen Füssen. Da ihm das Schriftstück zuvor nicht aufgefallen war, ging er davon aus, dass es Emma aus der Brieftasche gefallen sein muss. Neugierig bückte sich Walter nach dem Papier. Er faltete es vorsichtig auseinander und überflog die ersten Worte. Sie waren in einer
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