Unscheinbar
senkte sie den Blick. Und da lag er. Auf einem Ding, das aussah wie ein Snowboard auf Rädern. Er war schmutzig, nicht nur die Überkleidung, auch das Gesicht. Sie beobachtete, wie er vorsichtig den Kopf einzog, um sich den Schädel nicht am Chassis anzuschlagen, und dann aufstand. Er ging zu einem Tisch, auf dem allerlei mechanische Teile lagen.
Auf einmal war sie nervös. Sie hatte sich vorgenommen, ihn direkt zu konfrontieren. Jetzt, da er quasi vor ihr stand, war sie sich nicht mehr so sicher.
Er bemerkte sie nicht. Oder er ignorierte sie. Wie auch immer. Emma räusperte sich. Keine Reaktion. Sie trat einen Schritt näher an ihn heran.
Er hantierte mit einer Zündkerze und grummelte vor sich hin. Dann wurde das Grummeln lauter. „Was ist, schleichst dich hier rein und antwortest dann nicht?“
Endlich liess er die Zündkerze ruhen und sah auf.
Emma geriet noch mehr aus der Fassung. „Hast du mit mir gesprochen? Mir schien eher, als hättest du dieses Ding in deiner Hand beschworen.“
Er sah auf die Zündkerze, dann wieder zu Emma. „Habe ich nicht. Ich wollte wissen, was du hier suchst.“
Die Zweifel waren vergessen. Seine abweisende Art machte Emma wütend. Sie hatte ihm nichts getan. Für das Feuer konnte sie nichts und dass seine Mutter davor fliehen musste, ebenfalls nicht. Wenn er schon auf sie wütend sein wollte, dann zumindest nicht grundlos.
„Alle geben meiner Ankunft die Schuld an den Vorfällen in den letzten Tagen“, wobei sie „alle“ und „meiner“ extra betonte und ihn bedeutungsvoll ansah, „aber ich bin nicht die einzige, die an diesem Tag in die ländliche Idylle hereinplatzte.“
Die Reaktion auf diese Worte war beeindruckend. Emma konnte beobachten, wie Bens Hand sich fest um die Zündkerze schloss. So fest, dass die Knöchel weiss hervortraten. Die Nägel gruben sich in seine Handflächen. Die Arme und die Kiefermuskeln spannten sich an.
Emma spürte nur noch einen Lufthauch. Sie hörte ein leises Pfeifen, wie das eines extrem schnell fliegenden Objekts. Dann ein Klirren. Die Zündkerze prallte auf die Wand.
Ben stand direkt vor ihr. In voller Grösse. Sie schluckte, wich aber nicht zurück. Sie hielt seinem Blick stand.
„Spielt das eine Rolle?“
„Ich denke schon. Ich habe da so eine Ahnung.“
„Ja?“ Seine Nerven lagen spürbar blank.
„Warum bist du eigentlich so wütend auf mich? Du bist seit gestern sauer. Was habe ich getan? Ich kann nichts für das Feuer und ich kann nichts dafür, dass deine Mutter mir Unterschlupf gewährt hat.“
„Ich bin nicht wütend.“
„Ach nein?“ Emmas Blick wanderte zur Wand, an der die Zündkerze gelandet war. „Soll ich mal das Ding dort am Boden fragen? Das ist bestimmt anderer Ansicht.“
„Deine Theorie?“
Gut. Dann eben anders.
„Wie wär’s mit: Seit du hier aufgetaucht bist, geschehen hier diese wunderlichen Dinge und ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort?“
Ben antwortete nicht.
Emma blieb unnachgiebig. „Ben, ist Martin Reich dein Vater?“
Sein Körper schien zu beben. „Das weiss ich nicht. Und das war dir sehr wohl klar, nicht wahr?“ Er war nicht nur ein bisschen wütend. Er war stinksauer.
Sie hatte ihn schon wieder absichtlich verletzt. Aber diesmal war es nötig gewesen, sonst hätte sie nie mehr erfahren. „Ja, war es. Aber ich habe erst heute davon erfahren.“
„Und das macht es besser?“, knurrte er.
„Nein. Aber hör mir doch bitte kurz zu. Findest du das Ganze denn nicht auch seltsam? Irgendetwas hat die Familie Reich ausgelöscht. Jetzt tauchst du hier wieder auf und die Hölle bricht los. Warum das, wenn du nicht ein Reich bist?“
Ben schlug mit der Faust so unvermittelt auf die Arbeitsplatte, dass Emma zusammenzuckte.
„Entgegen dem allgemeinen Glauben: Ich bin kein Reich. Meine Mutter hat dort gearbeitet, weiter nichts.“
„Okay. Dann belehr mich eines Besseren. Wer ist dein Vater?“
Sie funkelte ihn herausfordernd an. Er stand ihr mit zusammengebissenen Zähnen gegenüber und funkelte zurück.
„Du weisst es nicht. Also kann genau so gut alles wahr sein und deine Mutter hat darüber nie ein Wort verloren, damit du nicht auch diesem sogenannten Fluch zum Opfer fällst. Na, wie klingt das?“
„Unglaubwürdig.“
Emma wurde auf einmal etwas klar. „Das stimmt nicht. Und das weisst du. Daran hast du schon oft gedacht, nicht wahr? Bist du deswegen weggegangen? Dachtest du, wenn du verschwindest, würde mit dir dieses Problem verschwinden?“
Seine
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