Unschuldig!
und in eine andere Stadt zu ziehen, die weit weg war von Monterey.
Einen kurzen Moment lang hatte dieser Gedanke etwas Verlockendes. Sie würde ein neues Leben beginnen, frei von Verdächtigungen oder Misstrauen oder der ständigen Angst, man könnte ihr Andrew wegnehmen.
Die Erkenntnis, dass sie damit auf der Flucht sein würde und in jeder Minute ihres Lebens über ihre Schulter blicken müsste, ließen sie innehalten. Was machte sie da? Sie war kein Feigling. Hier waren ihre Wurzeln, die Menschen, die sie liebten. Und dazu zählte auch ihr Vater, der zu einem wichtigen Teil ihrer Familie geworden war. Wie konnte sie das zurücklassen und sich nicht so fühlen, als würde sie alles im Stich lassen?
Sie verdrängte ihre Ängste, stand auf, brachte ihren Teller mit den nicht angerührten Sandwiches zur Spüle und versuchte, Charles aus ihren Gedanken zu verbannen.
Noch immer aufgebracht über seinen Schlagabtausch mit Steve Reyes, warf Charles die Haustür hinter sich ins Schloss, schleuderte seinen Schlüsselbund auf einen Tisch im Foyer und ging in den Salon, um sich einen wohlverdienten Drink zu gönnen.
Dieser aufgeblasene, arrogante Bastard! Für wen hielt er sich, dass er so mit einem Bradshaw sprach? Dass er seine Anweisungen missachtete? Und was zum Teufel machte er in der “Hacienda”? Vermutlich schmiedete er gemeinsam mit Julia Pläne, wie sie ihn bloßstellen konnten.
“Gut, dass Sie zu Hause sind”, sagte seine Haushälterin hinter ihm. “Ich möchte mit Ihnen reden.”
Charles seufzte gereizt. Er kannte diesen Tonfall und wusste, dass sich Pilar auf dem Kriegspfad befand.
Er winkte ungeduldig ab. “Nicht jetzt, Pilar.”
“Si, señor
, jetzt.” Sie stellte sich vor ihn und stemmte ihre zierlichen Fäuste in die Hüften. “Ich habe etwas zu sagen, das nicht warten kann.”
“Sie haben immer irgendwas zu sagen”, murmelte Charles. Er wusste, dass jeder weitere Protest sinnlos war, also ging er hinüber zur Bar und schenkte sich einen Scotch ein. Einen doppelten. “Also gut, raus damit. Was habe ich Schreckliches verbrochen?” Er drehte sich um und begegnete Pilars stechendem Blick. “Habe ich meine getragenen Hemden im Badezimmer auf dem Boden liegen lassen? Haben Sie wieder nasse Handtücher im Bett gefunden? Was?”
“Sie haben sich ganz schön was eingebrockt, das haben Sie gemacht.”
Charles trank einen Schluck von seinem Scotch. “Ich weiß nicht, wovon Sie reden.”
“Dann werde ich's Ihnen sagen.” Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn finster an. “Was haben Sie sich dabei gedacht, vor laufender Kamera Julia vorzuwerfen, sie hätte Ihren Sohn umgebracht? Wissen Sie, was Sie Andrew damit antun, wenn er das erfährt?”
“Wenn Sie meine Erklärungen gegenüber der Presse heute meinen, da waren keine Fernsehkameras, Pilar, nur
Zeitungsreporter.”
“Nein, Mr. B. WKYS war da und hat Sie in den 12-Uhr-Nachrichten gezeigt. Ich habe es gesehen.” In ihren dunklen Augen loderte Zorn. “Wie können Sie sagen, dass Sie das Kind lieben, und ihm dann so etwas antun? Sie wissen, wie sehr er an seiner Mutter hängt.”
“Ich habe keine Kamera gesehen”, sagte Charles verbohrt, obwohl er nicht sicher war, ob es überhaupt einen Unterschied gemacht hätte. Nachdem Reyes ihn so unverschämt angegriffen hatte, war es ihm egal gewesen, wer ihn hatte hören können.
“Sie haben keine Kamera gesehen, weil Sie zu sehr damit beschäftigt waren, Julia schlecht zu machen”, fuhr Pilar fort. “Das ist das Einzige, was Sie in den letzten Tagen interessiert.”
“Gut, Pilar, das reicht. Sie haben gesagt, was Sie sagen wollten, jetzt …”
“Ich bin noch nicht fertig.” Sie legte ihre Hände auf die Rückenlehne eines grünen Damastsessels. “Ich arbeite seit dreißig Jahren in diesem Haus. Ich habe Ihnen und Mrs. B. geholfen, die Kinder großzuziehen, und Gott ist mein Zeuge, dass ich sie geliebt habe, als wären sie meine eigenen gewesen.”
“Ich weiß, dass …”
Sie hob beschuldigend einen Finger und zeigte auf Charles. “Aber es gibt Dinge, die habe ich nie gutheißen können. Dazu gehört auch, wie Sie Julia behandelt haben. Als wäre sie nicht gut genug gewesen für Ihren Sohn und für die Bradshaws insgesamt.”
Charles öffnete den Mund, sah seine Haushälterin an und schloss ihn wieder.
“Das arme Kind hat sich alle Mühe gegeben, um sich einzufügen”, redete Pilar weiter. “Und um Paul zu gefallen. Wenn er sich nur halb so viel Mühe
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