Unschuldiges Begehren
alles wieder abzuwaschen, bevor wir schlafen gehen. Und wir haben Atari gespielt, wenn auch nur ziemlich kurz. Denn die meiste Zeit haben wir geredet und Musik gehört. Es war einfach toll!«
»Habt ihr euch auch amüsiert?«, fragte Hailey sie ironisch, und Faith brauchte einen Augenblick, bis sie verstand. Dann fiel sie ihr jedoch lachend um den Hals.
»Ja, aber ich habe dich und Dad vermisst.«
Es überraschte Hailey, wie problemlos diese Worte für das Kind zusammengingen. Sie und Dad. »Ach ja?« Vor lauter Rührung hatte ihre Stimme einen rauen Klang.
»Na klar. Kims Eltern sind echt nett, allerdings nicht so cool wie du und Dad. Und ihre Mom ist nicht mal annähernd so hübsch wie du.«
»Danke, aber weiÃt du, man sollte niemanden nach seinem Aussehen beurteilen.«
»Das mache ich auch nicht, aber es ist mir trotzdem aufgefallen.«
Am liebsten hätte Hailey Faith gefragt, was sie über sie erzählt hatte und ob die Harpers wussten, dass sie nicht die Frau von Tyler war, doch sie brachte es nicht über sich, die Frage laut zu stellen.
»Von wem ist denn das Auto?«, wollte Faith wissen und zeigte auf den Wagen in der runden Einfahrt vor dem Haus.
Hailey riss die Augen auf, während sich ihr Herz zusammenzog. Ellen. Woher wusste ihre Schwester, wo sie waren? Und was zum Teufel wollte sie dieses Mal von ihr?
»Es gehört meiner Schwester«, antwortete sie, lieà die Hand des Mädchens los und schob die Haustür auf. Faith trat vor ihr durch die Tür, hielt aber nach einem
Schritt schon wieder inne, und den Bruchteil einer Sekunde später stand auch Hailey wie angewurzelt da.
Ellen und Tyler waren vor dem Kamin, in dem jetzt nur noch kalte, graue Asche lag. Ellen hatte ihre Arme hinter seinem Kopf verschränkt, seine Handflächen berührten ihre Rippen, ihre Körper klebten von den Brüsten bis in Höhe ihrer Knie aneinander und ⦠sie küssten sich.
Als er hörte, dass jemand gekommen war, stieà er Ellen unsanft von sich fort. Sie schaute blinzelnd zu ihm auf und folgte seinem überraschten, schuldbewussten Blick. Er starrte Hailey an, und sie drohte in dem Abgrund aus schlechtem Gewissen und Bedauern zu versinken, der dabei in seinen Augen lag.
»Hallo, Hailey«, zwitscherte Ellen gut gelaunt.
»Halten Sie den Mund«, fuhr Tyler sie zornig an. »Hailey â¦Â«
»Fahr zur Hölle«, stieà sie leise aus und machte auf dem Absatz kehrt, um zu packen und aus seinem Haus und Leben zu verschwinden, bevor sie sich noch mehr erniedrigen musste.
»Hailey, warte!«, rief ihr Tyler hinterher, und als sie nicht gehorchte, sondern mit plötzlich bleischweren Beinen weiterlief, rannte er ihr nach. Er erreichte sie noch in der Tür und hielt sie an den Schultern fest.
»Lass mich los!«, schrie sie ihn an und wand sich in seinem eisenharten Griff.
»Nein. Ich weiÃ, was du denkst, aber so war es nicht. Ãberleg doch mal, dann wirst du sehen, dass du dich irrst.«
»Du kannst unmöglich wissen, was ich denke«, fauchte sie ihn an.
»Natürlich kann ich das. Ich kenne dieses stolz gereckte Kinn und diese kerzengerade Haltung. Sie bedeuten, dass du dir ein Urteil über irgendwas gebildet hast, das nichts und niemand noch mal ändern kann. Aber, bei Gott, hör mir gefälligst zu, wenn ich dir erkläre, was das eben war.«
»Das, was ich gesehen habe, erklärt sich ja wohl von selbst.«
Ein lästerlicher Fluch drang über seine Lippen, aber trotzdem drückte er sie weiter an die Wand. Sie bedachte ihn mit einem mörderischen Blick. Später würde sie bestimmt vor lauter Unglück sterben, doch alles, was sie jetzt empfand, war glühend heiÃer Zorn.
»Du hast letzte Nacht bekommen, was du wolltest. Du hast mich verführt. Deshalb hast du jetzt die nächste Herausforderung gesucht. Weil es in deinem ganzen Leben nie um etwas anderes geht. Nun, ich gratuliere. Mich hast du besiegt. Und jetzt lass mich endlich los.«
Für einen Moment wurde das zornige Blitzen seiner Augen durch einen Ausdruck von Schmerz ersetzt. »Traust du mir so was zu, Hailey?«, stieà er mit einer harschen Flüsterstimme aus, die niemand auÃer ihr verstand, doch die Desillusionierung, die sein Ton verriet, schnürte ihr die Kehle zu.
Dann wurde der Ausdruck seiner Augen wieder hart wie Stein. »Ellen«, brüllte
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