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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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Teilnahme am Wahlunterricht ging in die Abinote ein, und er hatte gehofft, auf diese Weise wenigstens irgendwo ein paar Punkte einzufahren. Die Rechnung war allerdings nicht ganz aufgegangen, und dafür hatte Ruth, anfangs trotz Trennung noch gemeinsam mit Johannes, zweimal im Jahr den Katzenjammer über sich ergehen lassen. Es war vielleicht nicht ganz fair, die Abende, vom überaus engagierten Direktor des Gymnasiums stets mit überschäumender Freude und Stolz moderiert (er selbst leitete die Big Band), als durchgängig misslungen abzutun. Es gab durchaus Highlights, wie beispielsweise den hochbegabten Percussionisten, der jedes Jahr aufs Neue für Staunen gesorgt hatte, wenn er mit großen weichen Klöppeln auf überdimensionierten Xylophonen wirbelte und sphärische Klangwelten zauberte. (Ruth musste sich stets von Lukas belehren lassen, dass es sich mitnichten um große Xylophone handelte, aber sie konnte und wollte sich den korrekten Namen einfach nicht merken. Für sie war das ein von Orff erfundenes Kinderspielzeug, und damit basta.) Johannes hatte sich nach der Trennung erleichtert vor den Konzerten drücken wollen, aber nachdem erst Lukas und dann Annika, die von Beginn an im Chor sang, ihre Enttäuschung darüber ausgedrückt hatten, hatte er sich dazu durchgerungen, einmal im Jahr beim großen Sommerkonzert zu erscheinen. Selbstverständlich ohne Mona, die sich, damals noch kinderlos, geweigert hatte, alles, was Johannes’ Kinder an Kreativität zeigten, zu beklatschen. Ruth war gespannt, wie es werden würde, wenn Joanna alt genug war, um Drachen aus Buntpapier oder Fische aus Ton zu basteln. Sicher stünde Mona dann stolz in der ersten Reihe der Bewunderer.
    Der Unterstufenchor räumte gerade rumpelnd die Bühne, während eine Handvoll pickliger Helferlein Notenpulte aufstellte, um den Auftritt des Schulorchesters vorzubereiten. Dem Programmzettel entnahm Ruth, dass das Orchester drei Stücke spielen würde, danach läutete ein dramatisches Zwischenspiel die Pause ein. Auf die Pause folgte der Oberstufenchor, mit Annika, wieder ein Zwischenspiel, und als Höhepunkt des Abends die schmissige Big Band.
    Als »Höhepunkt« und »schmissig« bezeichnete nur der Direktor selbst die Darbietung seiner Truppe, eigentlich war die Ansammlung verjazzter Pop-Hits peinlich veraltet, aber da der rundliche und sympathische Mann mit ansteckender Begeisterung bei der Sache war, ließ sich dann doch der ganze Saal hinreißen und klatschte mit. Der Direktor schmiss sich extra für die Show in ein rasantes Bühnenoutfit – tailliertes schwarzes Hemd, die obersten drei Knöpfe geöffnet – und gab den sexy Entertainer. Dem nachsichtigen Grinsen auf den Gesichtern der jungen Männer in seiner Band sah man an, dass sie ihn keinesfalls für die Songauswahl, aber umso mehr für seine Begeisterung liebten.
    Jetzt lenkte Ruth ihre Aufmerksamkeit auf das Schulorchester. Es waren alle Alters- und Klassenstufen vertreten. Als Dresscode war offenbar weißes Ober- und schwarzes Unterteil vorgegeben, und Ruth betrachtete die jungen Mädchen in knappen weißen Shirts oder Blusen, mit den sorgfältig geschminkten Gesichtern und gestylten Frisuren. In dieser Hinsicht standen die Jungs den Mädchen in nichts nach, ganz gleich, ob ihnen die fransig geschnittenen Haare ins Gesicht fielen oder mit Gel hingebungsvoll geformt waren – so nachlässig wie in ihrer Jugend sahen die Kids heute nicht mehr aus. Keine Fusselbärte oder schulterlangen Haare bei den Jungmännern, keine unrasierten Beine, Achseln oder ungezupften Augenbrauen mehr bei den Mädchen. Sie sahen alle mehr oder weniger gepflegt und bereit für eine ordentliche Karriere im System aus.
    Ruth seufzte und verbat sich ihre defätistischen, Annika hätte gesagt: hippiemäßigen, Gedanken. Vermutlich war es der Neid der Alternden, der sie so ungerecht urteilen ließ. Ruths Gedanken schweiften ab, und sie stellte sich vor, dass auch die Eltern von Derya ein paar Jahre lang hier in dieser Aula gesessen und ihre Tochter auf der Bühne bewundert hatten. Ein lebendiges, wunderschönes Mädchen, das sein ganzes Leben vor sich gehabt hatte. Das Energie und Selbstvertrauen ausgestrahlt und seine Eltern unglaublich stolz gemacht hatte. Und jetzt lag sie tot und begraben unter der Erde, herausgerissen aus der Gemeinschaft, aus dem Leben.
    In dem Moment erkannte Ruth Valentin Bucherer auf der Bühne. Er stand, in einem schicken weißen Hemd, das er offen über einem ebenfalls weißen

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