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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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sagen konnte. »Warum opferst du dich dann nicht? Warum hast du nicht einen von diesen Ziegenbauern geheiratet? Oder meinetwegen Aras.«
    Sergul starrte sie an. Nach einer Weile, die Derya wie eine halbe Ewigkeit vorkam, sah Sergul schließlich zur Seite. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie war nicht länger aufgebracht, sie wirkte von einer Sekunde auf die andere einfach nur traurig. »Ich kann nicht. Es geht nicht. Aras würde mich nicht nehmen. Und auch kein anderer.«
    Derya verstand gar nichts. »Warum?«
    Sergul trat ihre Zigarette aus und schlang die Arme um den Körper. »Weil ich nichts wert bin.«
    Derya schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Ich bin keine Jungfrau mehr, Derya. Schon lange nicht mehr. Bevor mich mein Vater verheiraten konnte, wurde ich entehrt.«
    »Freiwillig, oder …« Derya ließ den Rest der Frage in der Luft hängen. Es war nicht nötig, das auszusprechen.
    Sergul zog die Schultern hoch. »Beides irgendwie. Ich war vierzehn. Er war schon zwanzig und aus dem Nachbardorf. Wir sind abgehauen. Ich dachte, es wäre romantisch, aber … Danach war nichts mehr einfach.«
    Sergul drehte sich mit dem Rücken zu Derya und blickte über die langgezogene braune Bergkette. »Mein Vater ist ein gütiger Mann. Und ein reicher Mann. Er hat mich weggeschickt. Erst ins Internat, dann auf die Uni. Damit ich wenigstens noch etwas aus meinem Leben machen kann.«
    »Das ist doch Schwachsinn«, platzte Derya hervor. »Du hast mit vierzehn Sex gehabt, na und? Das haben andere auch. Dann heiratest du eben keinen von diesen Hinterwäldlern. Du lebst doch sowieso nicht hier.«
    »Ich kann nie wieder zurück, Derya. So ist das. Ich habe meiner Familie Schande gemacht. Ich komme zu Besuch, und ich bin bei Festen dabei, okay. Aber mehr kann ich nicht erwarten. Das ist bitter, weißt du?«
    Sergul sah Derya an, als wollte sie ihr Mitleid, aber Derya konnte sich absolut nicht dazu durchringen, etwas Tröstendes zu sagen. Weil sie nicht fand, dass Sergul Trost brauchte. Sie war entkommen. Sie hatte es geschafft und hatte ein normales Leben vor sich: mit einem guten Job, einem Mann und vielleicht Kindern. Warum jammerte sie hier rum?
    »Ich werde Zinar nicht heiraten. Notfalls hau ich mit Vali ab. Wir lieben uns, und ich weiß, dass er zu mir steht.« Derya blickte ihre Cousine stolz an. War Zeit, dass sie hier wegkam. Sie wollte keine Stunde länger in den anatolischen Bergen bleiben. Jetzt, wo sie sogar Sergul verloren hatte. Die Cousine sah sie an. Etwas in diesem Blick gefiel Derya überhaupt nicht.
    B ERLIN- M OABIT, B OCHUMER S TRASSE,
EIN F REITAG IM F EBRUAR, KURZ NACH SIEBZEHN U HR
    »Überraschung!«
    Ruth zuckte zusammen und drehte sich auf dem Absatz um. Tatsächlich stand ihre Schwester Regine in der geöffneten Tür des »La Paysanne« und strahlte von einem Ohr zum anderen. Noch bevor Ruth tatsächlich realisiert hatte, dass das ihre Schwester war, die da leibhaftig vor ihr stand, flog diese in ihre Arme und drückte sie fest. Ruth erwiderte die herzliche Begrüßung überrascht, bevor sie Regine genauer in Augenschein nahm. Die war äußerlich total verändert. Sie trug eine modische Kurzhaarfrisur mit blondierten Strähnen, eine knallenge Jeans zu einem grellbunten Wickeltop, welches Regines ausladende Oberweite bedrohlich hervorhob, sowie, Wunder über Wunder: High Heels!
    Insgesamt war die Typveränderung nicht gerade nach Ruths Geschmack, aber sie war wirkungsvoll. Regine wirkte frischer, weiblicher, unverkennbar jünger. Dennoch war alles ein bisschen zu viel des Guten. Zu blond, zu bunt, zu eng, zu hoch. Regine, die die fünfzig bereits überschritten hatte (in aller Trauer und Stille), Mutter von drei Kindern und Sozialpädagogin außer Dienst, war in den vergangenen zwanzig Jahren eigentlich nur in »praktisch und bequem« herumgelaufen. Ruth, die, seit sie nach Berlin gezogen war, ihre Schwester nur selten getroffen hatte – zu sehr hatten ihre Lebensentwürfe differiert –, hatte sie ausschließlich in Sneakers, weiten Jeans oder Cargohosen, Schlabber-T-Shirts und Sweatshirt gesehen. Jetzt war sie total baff. Statt einer Begrüßung kam ein verwundertes »Warst du bei der Typ-Beratung?« über ihre Lippen.
    Regine drehte sich zur Antwort einmal im Kreis und wackelte dabei aufreizend mit dem breiten Hinterteil. »Brigitte-Diät! Und Online-Stilberater. Alles in einem Package. Einmal geklickt, und schon wirst du täglich mit Tipps und Tricks beballert.«
    Ruth war sprachlos, aber

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