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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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Ruth und Jamila in den letzten drei Tagen neben dem Restaurantbetrieb vorbereitet hatten. Es war Ruths ausdrücklicher Wunsch, dass es auf ihrer Party außer den Getränken absolut nichts Französisches geben sollte. Sie hatte ein Faible für die asiatische Küche und hatte die gesamte vergangene Woche nichts anderes getan, als vietnamesische, indonesische und thailändische Kochbücher zu wälzen. Sie hatte sich ihre Lieblingsgerichte herauskopiert, und so bestand das Buffet, das sie vorbereitet hatte, aus nahezu dreißig verschiedenen »Asia-Fusion«-Leckereien. Angefangen mit vietnamesischen Mini-Frühlingsröllchen über hauchzart frittierte Krabbenscheren mit Chilisauce und Lychee-Zitronengras-Sorbet – Jamila und Ruth hatten sich regelrecht in einen Koriander-Reispapier-Ingwer-Chili-Wahn hineingesteigert, und die vielen auf Platten, in Schalen und in Papier gewickelten Köstlichkeiten fanden kaum Platz auf der als Buffet auserkorenen Fläche. Jetzt mussten sie das alles nicht nur vor sich selbst und Regine, sondern auch vor dem Appetit der beiden jungen Kerle schützen.
    »Boah, geil, Mama«, hatte Lukas mit vollem Mund verkündet, als Ruth wieder eine Platte aus der Küche geschleppt hatte. Sie hatte ihm auf die Finger geklopft und mit strengem Blick jegliches Vorabnaschen verboten.
    Kurz vor sechs fasste sich Regine theatralisch an die Kehle und verlangte nach dem ersten »Proseccochen«, was bei Ruth allerdings ein frischer, eisgekühlter Crémant d’Alsace war.
    Als gegen halb sieben die ersten Gäste eintrudelten, waren Ruth, Jamila und Regine bereits in allerbester Partystimmung.
    B ERLIN- M OABIT, C ALVINSTRASSE,
EIN F REITAG IM F EBRUAR, KURZ VOR ZWANZIG U HR
    Am Bahnhof hatte Valentin sich noch kurz überlegt, ob er Blumen mitbringen sollte, entschied sich dann aber anders. Er hatte das Gefühl, dass diese Geste seinem Besuch nicht angemessen war. Die ganze Woche über hatte er mit sich gerungen, an wen er sich wenden sollte. Sein Verstand sagte ihm, dass die Polizei die erste und die richtigste Adresse wäre, andererseits war er sich nicht wirklich sicher, ob das, was »Sergul« behauptete, auch der Wahrheit entsprach. Vielleicht war sie einfach eine Wichtigtuerin. Ihr Facebook-Account blieb gelöscht, er hatte wieder und wieder nach ihr gesucht. Jetzt ärgerte er sich, dass er nicht eines ihrer Fotos gespeichert hatte. Aber woher hätte er wissen können, dass sie einmal wichtig sein könnte? Für ihn, für Aras, für den »Fall«.
    Valentin hatte sogar daran gedacht, mit dem zu sprechen, der am meisten betroffen war: Aras. Er hatte versucht, sich im Internet schlauzumachen, wie das war mit Besuchen, wenn man in U-Haft saß. Es war offenbar noch strenger geregelt, als wenn man seine Haftstrafe regulär absaß. Das konnte er also vergessen. Schließlich hatte er sich zu diesem Schritt durchgerungen.
    Er stand vor dem Haus und starrte auf das Klingelbrett. Er hatte mehrere Male an dieser Stelle gestanden und auf Derya gewartet. Aber noch nie hatte er geklingelt. Sie hatten vereinbart, dass er immer eine SMS schickte, dann kam sie herunter.
    Aber nun legte er einen Finger auf das mit »Demizgül« beschriftete Plättchen und drückte. Es dauerte etwas, bis sich jemand meldete. Was genau dieser Jemand sagte, konnte man nicht verstehen, aber Valentin nahm all seinen Mut zusammen und sagte laut und vernehmlich seinen Namen in die Sprechanlage. Gleich darauf betätigte irgendwer den Türöffner.
    Deryas Vater wartete bereits in der geöffneten Tür, als Valentin das vierte Stockwerk erreicht hatte. Für einen Moment verließ Valentin der Mut. Er sah die strengen schwarzen Augen und den mächtigen Schnurrbart von Goran Demizgül und zögerte. Was hatte er erwartet? Dass er mit offenen Armen von den fremden Leuten empfangen werden würde? Er, der deutsche Freund ihrer toten Tochter, der sich nie vorgestellt hatte und jetzt, plötzlich mit einem Namen und einer kruden Nachricht vor der Tür stand?
    Aber Herr Demizgül zerstreute seine Bedenken sofort. Er streckte Valentin eine Hand entgegen, und als dieser sie ergriff, zog Deryas Vater ihn an sich und umarmte ihn fest. Valentin erwiderte die Geste gerührt, und noch mehr als dieses rührte ihn der Geruch. Der Vater, die Wohnung – alles roch so vertraut, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Unweigerlich fühlte er sich mit Macht an seine Freundin erinnert. Er hätte diesen Duft nicht benennen können, es war eine spezifische Mischung von einem

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