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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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minütlich hatte sie SMS verschickt, an Valentin, an ihre Freundinnen. Papa würde durchdrehen, wenn die Handyrechnung kam. Aber das war ihr scheißegal, nein, es geschah ihren Eltern recht. Wenn sie sich schon nicht wehren konnte.
    »Und wenn er, keine Ahnung, Bradley Cooper höchstpersönlich wäre …«
    Sergul lachte und unterbrach sie. »Gelogen. So was von gelogen.«
    »Ja, okay«, gab Derya zu, aber sie war noch immer in Fahrt, »dann vielleicht nicht. Aber wenn es irgendein gutaussehender netter Typ wäre, würde ich ihn nicht heiraten. Nicht, wenn ich nicht gefragt werde. Und nicht, wenn meine Eltern ihn aussuchen. Und vor allem nicht wegen ein paar Arbeitsplätzen.«
    Sergul schwieg, und sie gingen ein paar Schritte stumm nebeneinander her.
    »Und dein Bruder, sorry, der ist weder nett noch gutaussehend«, setzte Derya nach.
    Sergul seufzte. »Aber diese Heiratspolitik ist immer schon unsere Kultur gewesen, Derya. Deine Mutter hat so geheiratet und meine Mutter ebenfalls. Und beide haben es nicht schlecht getroffen.«
    »Verarsch mich doch nicht!« Derya kickte wütend einen Stein zur Seite. Sie sah sich um. Die Gegend hier war so armselig. Überall Steine, Berge, Geröll. Keine Kultur, nur Vollidioten. Wahrscheinlich waren die alle Inzestprodukte. Sie verachtete ihre angebliche Heimat. Warum sprachen alle immer davon, wie wichtig es sei, zu wissen, wo man hingehörte, wo die Wurzeln waren und der Stamm und die verschissene Heimaterde? Berlin war ihre Heimat! Da war sie geboren, da waren ihre Wurzeln. Und mit dieser kargen Öde hatte sie echt nichts am Hut.
    »Es ist mir egal, wovon die hier leben, Sergul. Ich kann doch nicht irgendeinen Typen nehmen, bloß damit Leute, die ich nicht kenne, sich für deinen Vater den Arsch abschuften dürfen.«
    »Jetzt mach aber mal ’nen Punkt!« Sergul drehte sich herum, ihr Gesicht war wutverzerrt. Derya war total überrascht, dass sie ihre Freundin mit irgendwas auf die Palme gebracht hatte.
    »Erstens hast du keine Ahnung, worum es hier geht. Das ist Politik, Derya. Es geht um das Überleben von einer Menge Familien, nicht nur um deinen süßen kleinen Hintern.«
    Sergul trat ganz nah an Derya heran, und diese wich erschrocken nach hinten aus. »Dieser Staudamm ist ein wichtiges Projekt hier unten. Schau dich doch um: Hier gibt es nichts.«
    Sie packte Derya unsanft am Arm und drehte sie einmal um ihre eigene Achse. Derya fügte sich widerstrebend, sie hatte Respekt vor Sergul und spürte, dass es besser war, sich jetzt nicht gegen die Ältere aufzulehnen.
    »Die meisten, die hier leben, sind bitterarm. Auf dieser Erde wächst nichts, jede Stadt, jede Industrie ist meilenweit weg. Wer Arbeit sucht, muss von hier weggehen. Und das heißt nicht, sich in die S-Bahn setzen und fünf Stationen fahren. Das heißt, Frau und Kinder zurücklassen. Ein paar Jahre im Ausland schuften. Vielleicht in Deutschland, wie dein Vater, vielleicht anderswo. Aber da gibt es auch keine Garantie mehr. Viele kommen zurück und haben es nicht geschafft.«
    Derya nickte stumm. Sergul redete genauso wie ihr Vater. Und wie Aras. Auch sie hatten ihr die Notwendigkeit der Heirat mit Zinar so erklärt. Aber scheiß drauf, dachte Derya trotzig. Sie wollten ihr die Verantwortung für das Leben dieser Bauern hier unten in die Schuhe schieben. Das war nicht fair. Nicht fair.
    »Mein Vater«, fuhr Sergul fort und blies sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn, »mein Vater hat es geschafft. Er ist ein großer Mann. Er entscheidet, wer beim Staudamm Arbeit bekommt und wer nicht. Nicht alle können ein Stück vom Kuchen haben, Derya. Und es liegt an dir, wer eins bekommt. Und wer nicht.«
    Endlich ließ Sergul ihren Arm los und fummelte die Gauloises-Packung aus ihrer Hosentasche. Derya musterte ihre Cousine erstaunt. Sergul war doch eine moderne Frau. Sie war selbst nicht verheiratet, sie lebte in Ankara, studierte, führte ein normales Leben. Warum setzte sie sich so für diesen Traditionskrempel ein?
    »Wenn dein Vater wirklich groß wäre, dann würde er die Arbeit an die vergeben, die sie am besten können. Oder die sie am nötigsten haben. Und nicht akzeptieren, dass ich dafür geopfert werde.« Derya hielt tapfer dem Blick Serguls stand. Diese blies verächtlich den Rauch durch die Nase, bevor sie antwortete. »Mein Vater ist groß, weil er so entscheidet. Nicht ein milder Mann wird ein großer Mann.«
    »Du hast sie doch nicht mehr alle.« Derya konnte nicht verstehen, wie Sergul so etwas

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