Unschuldslamm
ist eine tolle Frau. Aber ich …«
Er musste es nicht aussprechen. Ruth hatte all das vor zehn Jahren so schon einmal gehört. Dass er sich eingesperrt fühlte. Dass es nicht seine Vorstellung vom Leben war. Dass er mehr Freiheit brauchte. Alle diese Floskeln. Johannes würde es nie lernen.
»Es ist vorbei, ja?« Ruth sah ihn an. Sie hatte es gewusst. Gespürt schon länger, aber die Gewissheit hatte sie gehabt, als er heute Abend ohne Mona erschienen war – wie aus dem Ei gepellt und bester Laune. Amüsierwillig.
Johannes versuchte zu lächeln und einen Scherz aus dem nächsten Satz zu machen, aber es wollte nicht gelingen. »Und schon wieder lasse ich eine Frau mit kleinem Kind zurück. Tja …«
Ruth drehte sich nur um und verließ die Küche.
In dem kleinen Gastraum ging es hoch her. Während sie in der Küche gestanden hatte, waren noch mehr Gäste gekommen, und Ruth ahnte, dass sie wieder nicht dazu kommen würde, sich am Buffet zu bedienen. Während sie Franz, den Bühnenbildner und Lebensgefährten von Christoph, begrüßte und erwartungsvoll sein Geschenk auspackte, bemerkte sie, dass Farid sich neben sie schob. Der Ehemann von Jamila hielt ihr einen Teller hin: von beinahe jeder Spezialität des Buffets ein kleiner Happen. Ruth sah ihn verwundert an. Farid lächelte und zeigte mit dem Kinn auf Jamila, die in dem Moment zu ihnen hinübersah und sofort strahlte, lächelte und ihrem Gatten eine Kusshand zuwarf. »Sie hat mich gebeten, mich darum zu kümmern, dass du etwas zu essen bekommst. Du weißt, wie sie ist.«
»Ohne sie wäre ich verloren. Ganz ernsthaft. Ich – und das Bistro sowieso.« Ruth nahm dankbar den Teller entgegen und schob sich sofort einen Spieß mit in Zitronengras und Koriander marinierten Tintenfischen in den Mund.
»Und ich erst«, lachte Farid und verschwand wieder in der Menge.
Franz hatte ihr eine traumhafte Vase geschenkt, die mit ihrer mattgrünen Glasur perfekt auf den Tresen des »La Paysanne« passte, und während Ruth sich überschwänglich bedankte, nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, dass jemand vor den großen Glasfenstern stand und neugierig hereinblickte. Ruth guckte nun genauer hin, um zu sehen, ob es sich um einen ihrer Partygäste handelte oder jemanden, der eigentlich das Bistro besuchen wollte, da stellte sie fest, dass ihr das Gesicht, das aus dem Nachtdunkel in den hell erleuchteten Laden starrte, bekannt vorkam. Doch noch bevor sie denjenigen identifiziert hatte, war er schon verschwunden, nachdem er einen Blick auf den Zettel geworfen hatte, der im Fenster hing. »Heute wegen privater Feier geschlossen« stand darauf. Ruth sah den Rücken der Person in der Dunkelheit verschwinden, da endlich wusste sie, wer es war. Sie entschuldigte sich mit vollem Mund bei Franz und drängelte sich durch die Feiernden zur Tür. Sie riss sie auf und sah sich um, konnte ihn aber nicht mehr entdecken.
»Herr Eisenrauch?!«, rief sie aufs Geratewohl in die Dunkelheit, und daraufhin nahm sie vom Ufer her unter einem Baum eine Bewegung wahr. Ein Mensch trat ins Licht der Bogenlampe, und tatsächlich war es der Staatsanwalt. Hatte sie doch richtig gesehen. Er kam ein paar Schritte auf sie zu.
»Ich wusste nicht, dass Sie eine Party haben. Ich dachte nur, ich probiere Ihr Restaurant heute Abend aus. Ich komme ein anderes Mal.«
Ruth erkannte, dass er verlegen war. Es war seltsam, ihn so zu sehen, denn vor Gericht war er stets ein Ausbund an Selbstbewusstsein. Er hatte eben das Auftreten eines Staatsanwalts, aber jetzt traf sie ihn zum zweiten Mal privat und stellte fest, dass er so ganz anders war. Ohne Robe.
»Sie bekommen auch jetzt etwas zu essen. Ich lade Sie gerne ein.«
Hannes Eisenrauch zögerte und warf einen Blick ins Restaurant. »Es ist eine private Feier. Da möchte ich nicht stören. Ganz davon abgesehen …«
»… dass wir keinen Kontakt haben dürfen. Ich weiß.« Die Verlegenheit des Mannes übertrug sich auf sie. Er hatte natürlich recht. Sie selbst hatte letztens gemerkt, wie unangenehm es ihr war, dass sie sich über dieses Verbot hinweggesetzt hatte. Andererseits fand sie es auch unangebracht, Eisenrauch wieder fortzuschicken.
Ruth spürte, wie die Februarkälte eisig von unten hochstieg, sie trug nur einen hauchdünnen Fummel, Stilettos und eine Seidenstrumpfhose. Unwillkürlich schüttelte sie sich vor Kälte.
»Gehen Sie wieder rein, Sie holen sich ja den Tod.« Eisenrauch stand jetzt direkt vor ihr und legte ihr den Arm um die Schultern, um
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