Unschuldslamm
mal locker.«
Ruth ging durch die Decke. »Locker?! Du bist sein Vater, verdammt! Anstatt ihn darauf hinzuweisen, dass das nicht gut für ihn ist, sanktionierst du seinen Drogenkonsum noch!«
»Drogenkonsum, also komm, mach dich nicht lächerlich. Die eine Tüte. Bist du so verspießert?«
»Hör auf, mich so in die Ecke zu stellen!« Ruth war erbost. »Ich bin nicht ›verspießert‹, bloß weil ich nicht will, dass mein Sohn kifft.«
Christoph, ein Freund aus Studientagen, steckte seinen Kopf in die Küche und sah sich suchend um. »Wischer? Scheuerlappen? Irgendwas … Ich hab mein Glas kaputtgemacht.«
»Im Flur rechts«, gab Ruth knapp zur Antwort. Kaum war die Tür wieder geschlossen, widmete sie sich ihrem Ex, der jetzt trotzig die Arme vor der Brust verschränkt hatte.
»Du bist von uns beiden der Spießer.« Ruth kam in Fahrt. »Als alter Sack so einen auf obercool machen, von wegen ›Alter, lass uns mal ’ne Tüte durchziehen‹ – Mann, das ist der Inbegriff von Spießigkeit! Und Peinlichkeit!«
Johannes wollte etwas entgegnen, aber Ruth ließ sich nicht bremsen. »Dein neues Haus – der Inbegriff von Spießigkeit! Townhouse am Mauerstreifen mit Schieferbad und was weiß ich für ein Edelholzboden. Ökogelackt. Ha!« Ruth spürte, dass ihr der viele Champagner etwas zu Kopf gestiegen war und sie nicht mehr sehr sachlich argumentieren konnte, aber sie war nicht in der Lage, sich zu bremsen. »Alternder Intellektueller mit junger Frau und halblangen Haaren – deine ganze Gelegenheitskiffer-Existenz ist spießig, Johannes. Du bist ökogelackt, hahaha …« Sie wollte nicht so hysterisch lachen, es war ihr in derselben Sekunde furchtbar unangenehm, aber sie konnte nichts dagegen tun, ihre Stimme kippte, sie gluckste unkontrolliert, und die Tränen traten ihr in die Augen. Lachtränen, so hoffte sie inständig. Und Johannes? Anstatt beleidigt zu sein oder wenigstens unangenehm berührt, begann er zu grinsen. Er sah sie an und grinste einfach nur!
»Boah, Mama«, hörte sie plötzlich in ihrem Rücken und drehte sich um. Lukas stand hinter ihr und grinste ebenfalls. »Du hast echt getankt, oder?«
»Du …«, hob Ruth an, pikste ihrem Sohn erbost den Zeigefinger in die Brust und wollte einen Schritt auf ihn zu machen. Leider blieb sie mit einem Stöckelabsatz in der Türschwelle hängen, knickte um und wurde von Lukas gerade noch aufgefangen. ›O Himmel‹, dachte Ruth, ›der Abend ist für mich gelaufen – dabei hat er noch gar nicht angefangen.‹
Sie befreite sich genervt aus den Armen ihres Sohnes, der kichernd mit seinem Rastamützenfreund die Küche durchquerte, und stützte sich schwer auf den Herd.
Johannes blieb bei ihr und begann, sich an den Schränken zu schaffen zu machen. »Ich mach dir mal ’nen Kaffee, okay?!«
»Ich bin nicht betrunken«, wehrte Ruth ab.
Johannes guckte nur skeptisch.
»Okay«, gab sie zu. »Drei Gläser Schampus. Auf leeren Magen.«
»Dann wird’s Zeit, dass du dich an deinem Buffet bedienst. Es ist nämlich bald leer. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen.«
Tatsächlich hatte Ruth noch nichts von all den Köstlichkeiten gegessen, sie war einfach zu nervös gewesen, ob auch alles an seinem Platz war, ob die Gäste gut versorgt waren, jeder etwas zu trinken bekam und sich wohl fühlte. Außerdem war sie damit beschäftigt gewesen, ihre Gäste zu begrüßen, die Geschenke auszupacken und mit allen wenigstens ein paar persönliche Worte zu wechseln. Und mit jedem hatte sie angestoßen. Okay, vermutlich waren es doch mehr als drei Gläser. Jetzt hatte sie einen sitzen und war schwer unterzuckert. Aber bevor sie die Küche verließ, drehte sie sich noch einmal zu Johannes um, der sich die Mühe gemacht und eine kleine Alu-Espressokanne auf dem Herd aufgesetzt hatte – anstatt die große Kaffeemaschine auf dem Tresen zu benutzen –, und entschuldigte sich.
»Was ich gesagt habe … Das stimmt natürlich so nicht. Sorry. Ich bin einfach … Es ist mit mir durchgegangen. Ihr habt natürlich ein tolles Haus.« Sie hob entschuldigend die Hände. »Vermutlich ist es der Neid. Entschuldige bitte.«
Johannes ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Du musst dich nicht entschuldigen. Irgendwie stimmt’s ja.«
Der Espresso brodelte jetzt laut in der kleinen Kanne, während ihr Exmann nach Worten suchte. »Spießig ist allerdings vielleicht nicht der ganz zutreffende Begriff. Ich würde eher sagen: eng. Ja, es ist zu eng. Es ist ein tolles Haus, und Mona
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