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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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wegen Erregung privaten Ärgernisses hinausgeworfen. Wie widerwärtig sie es fand, dass ihre Schwester, die Stunk mit dem Ehemann hatte, sich dem Mann an die Brust warf, der Ruth vor zehn Jahren hatte sitzenlassen und jetzt, wegen lächerlichen Bindungsängsten, drauf und dran war, auch seine zweite Ehe in den Sand zu setzen. Doch bevor sie darüber in schlechte Stimmung kommen konnte, zogen Christoph und Franz sie auf die winzige Tanzfläche. Lukas und dieser Rastakumpel mit den roten Kaninchenaugen waren inzwischen natürlich doch dazu übergegangen, die alten Gassenhauer runterzunudeln, und wie üblich verfehlte diese DJ -Politik nicht ihr Ziel: Der Großteil der Partygäste hatte sich seiner wärmenden Februar-Klamotten entledigt und tanzte hemmungslos. Gerade lief Gloria Gaynors »I will survive«, und natürlich ließ Ruth sich von ihren schwulen Freunden nicht lange bitten. Zumal ihr bewusst war, dass sie damit abgelenkt werden sollte von den Vorbereitungen, die Jamila jetzt traf, um ihre Chefin um Mitternacht hochleben zu lassen. Farid zog Johannes von Regine weg und verschwand mit ihm nach draußen.
    Ruth schloss die Augen und gab sich ganz dem Song hin. Sie war in diesem Moment so vollkommen glücklich, sie blendete alles, was sie belastete, aus: ihren Vater, den Prozess, die doofe Schwester, von Johannes ganz zu schweigen. Stattdessen dachte sie daran, dass sie glücklich war. Jahrelang hatte sie geschuftet, damit sie und die Kinder ein anständiges Leben hatten, und jetzt, als sie fünfzig wurde, spürte sie, wie alles leichter wurde. Dass sie arbeitete, weil es ihr Spaß machte. Dass sie es genoss, dass ihre Kinder so groß waren, und sie selbst dadurch neue Freiheit gewann. Dass sie wieder bereit war, sich auf eine neue Liebe einzulassen, dass …
    »Zehn! Neun! Acht!«
    Die Musik war schlagartig ausgedreht worden, und Ruth öffnete die Augen. Um sie herum hatte sich ein Kreis gebildet, alle Gäste hatten ein Glas Champagner in der Hand …
    »Sieben! Sechs! Fünf!«
    … und während Max und Hannes Eisenrauch damit beschäftigt waren, die letzten Gläser zu füllen, drückte Jamila ihr freudestrahlend eines in die Hand …
    »Vier! Drei! Zwei! Eins!«
    … Lukas schob sich direkt vor sie, und noch bevor Ruth protestieren konnte, passierte alles gleichzeitig. Die Gäste hoben ihre Gläser und prosteten alle durcheinander, aber dafür umso lauter mit »Happy Birthday«, »Alles Gute« und »Hoch soll sie leben«. Lukas umfasste seine Mutter und hob sie stolz, so weit er konnte, in die Höhe, so dass Ruth sich ihr halbes Glas Champagner in den Ausschnitt kippte. Dazu erklangen die ersten Takte von Stevie Wonders Geburtstagsgröler, und draußen vor den Fensterscheiben des »Paysanne« ließen Farid und Johannes Raketen in den Himmel steigen. Ruth war völlig überwältigt und nahm gerade noch wahr, dass ihr Sohn ihr ins Ohr flüsterte: »Du beste Mama ever!« Dann ließ sie sich rundum in den Arm nehmen und beglückwünschen, bis sie, mittlerweile ebenfalls auf dem Bürgersteig vor dem Bistro, neben Hannes Eisenrauch zu stehen kam. Stumm betrachteten sie das Feuerwerk, das Johannes und Farid abfackelten. Ruth spürte die Verklemmung des Staatsanwalts, der im Moment zu überlegen schien, wie er der Frau, auf dessen Geburtstagsparty er sich befand, mit der er aber eigentlich nicht reden durfte, angemessen zum 50. gratulieren sollte. Sie dachte ihrerseits darüber nach, ob und wie sie ihm auf die Sprünge helfen konnte, da sah sie von weiter oben in der Straße ihre Tochter auf sich zukommen. Aber Annika war nicht alleine. Neben ihr ging Valentin Bucherer. Und an den Mienen der beiden konnte Ruth ablesen, dass die jungen Leute nicht hier waren, weil sie ihr gratulieren wollten. Und sie waren auch nicht durch Zauberhand zu einem Liebespärchen geworden. Sie hatten etwas auf der Seele.
    Als ihre Tochter sie fast erreicht hatte, zuckte diese kurz zusammen, als erinnerte sie sich erst jetzt daran, dass ihre Mutter Geburtstag hatte.
    »Sorry, Mama, dass ich zu spät komme«, Annika warf einen irritierten Blick zum Feuerwerk, »aber ich bin aufgehalten worden.« Sie wies mit der Hand nach hinten, dort, wo Valentin Bucherer mit etwas Abstand stehen geblieben war. Jetzt kam er ein paar Schritte näher, und Annika fuhr fort: »Valentin glaubt, dass es eine Zeugin für den Mord gibt. Er hat mit ihr gechattet.«
    Jetzt drehte sich Hannes Eisenrauch um und sah erst die Jugendlichen, dann Ruth verblüfft an.
    »Ich

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