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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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muß ich dabei sein. Da braucht deine Mutter Herztropfen. So wird die sich freuen.<«
    »Ja«, sagte ich und nahm das Kind hoch. Ich trug es zum Wagen zurück. Durch den dünnen Stoff des Kleides spürte ich das Herz schlagen.
    Ich wußte plötzlich, der Doktor hatte mir das Kind mit voller Absicht ins Zimmer geschickt. Er ist einfach zu raffiniert für mich.

4

    Ich brachte das Kind nach Hause.
    Ich hielt schließlich vor einem hübschen Häuschen, das von alten Bäumen umgeben war.
    Hinter dem Haus sah man einen Holzplatz mit dicken, geschälten Stämmen. Der Geruch nach Holz war sehr stark und wirkte belebend auf mich.
    Kaum hatte ich gehalten, als drei Kinder aus dem Haus stürmten. Hinter ihnen erschienen ein Mann und eine Frau. »Da sind wir«, sagte das Kind, »gibst du mir die Dinger.«
    Sie lachte mich an: »Der Doktor sagt immer >die Dinger<, und deswegen sag’ ich es auch.«
    Ich fand, sie war sehr geschickt damit. Sie stand neben dem Auto und erklärte ihren Geschwistern: »Na, das fährt vielleicht. Sagenhaft. Man merkt nichts. In dem Auto kriegt man keine Beulen am Hintern.«
    Der Mann und die Frau kamen heran.
    Der Mann lachte herzlich, streckte mir die Hand hin.
    »Der Doktor hat schon telefoniert, daß Sie kommen und Gerda bringen.«
    Er schüttelte mir kräftig die Hand. »Besten Dank auch, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Sie hätte ganz gut mit dem Postauto kommen können. Ich weiß nicht, wie sie es fertigbringt, jeder verwöhnt sie.«
    »Es machte mir nichts aus«, sagte ich.
    »Na, bei dem Sprit, den der verbraucht«, meinte er mit einem Blick auf das Auto.
    Er nötigte mich ins Haus, er ließ es nicht zu, daß ich wegfuhr. Ich wurde ins Haus eskortiert, an jeder Seite Kinder, und Gerda hüpfte geschwind mal auf dieser, mal auf jener Seite neben uns her.
    Man fragte mich, man redete durcheinander. Diese Familie verbreitete einen kräftigen Geruch von Gesundheit, von absoluter Unbefangenheit.
    Die Frau brachte mir Tee, der Mann einen kräftigen Schnaps, ich mußte beides nehmen, um keinen zu kränken.
    Über das erhobene Schnapsglas hinweg sah der Mann mich an.
    »Der Doktor ist ein hervorragender Mann«, sagte er fast beschwörend, »glauben Sie mir, Holzhändler und Pferdehändler verstehen was von Menschen, und ich sage Ihnen: Der Doktor ist ein hervorragender Mann.«
    Fast feierlich kippte er den Schnaps hinunter.
    »Menschen und Bäume«, setzte er fort, »sind gar nicht so sehr voneinander verschieden. Deswegen verstehe ich was davon. Ich seh’ mir nur an, wie gerade etwas gewachsen ist, und die meisten Menschen sind Knüppelholz. So ist es«, bekräftigte er und schenkte mir erneut ein.
    Das Kind hielt sich auf den >Dingern<, schwenkte die Beine hin und her und zwinkerte mir zu, als genieße es, daß wir beide ein Geheimnis miteinander hatten.
    Es dauerte eine Weile, bis ich fortkam.
    Die ganze Familie brachte mich an den Wagen, und ich muß sagen, von Zimmerlautstärke hielten sie nichts.
    Ich fuhr los und dachte: Der Doktor ist hier so etwas wie ein König. Ihm gehört die Gegend, wahrscheinlich mehr als dem Landrat. Es war tatsächlich etwas, um neidisch zu werden.
    Ich fuhr einen anderen Weg zurück.
    Hinter sumpfigen Wiesen sah ich das Wasser des kleinen Flusses aufblinken.
    Ich fuhr auf eine Brücke zu und sah einen weißen Wagen stehen.
    An der niedrigen Brückenmauer stand eine junge Dame und sah unverwandt auf den Fluß hinaus.
    Ich erkannte den Wagen. Ich erkannte auch die junge Dame. Sie trug diesmal nicht das schwarze Jackenkleid. Sie trug ein helles Kostüm von Chanel.
    Ich bremste.
    Ursula wandte sich um, erkannte mich, aber sie lächelte nicht, sie gab kein Zeichen.
    Etwas unsicher stieg ich aus.
    Sie sah mich unverwandt an. Erst als ich nahe vor ihr war, zeigte sie ein schwaches Lächeln.
    »Hallo«, sagte ich und spürte, daß ich befangen war.
    »Es ist einfach zu schön draußen«, sagte sie, »um im Zimmer zu bleib en. Es gibt Leute, die wollen den Frühling sehen, ich will ihn riechen.«
    »Ja«, sagte ich und fühlte mich ziemlich unbehaglich. Man kann natürlich über den Frühling reden, aber es ist eine andere Sache, wenn jemand darüber spricht, für den es vielleicht der letzte ist.
    »Hier gibt es Forellen«, sagte sie und machte eine leichte, anmutige Bewegung mit dem Kopf auf den Fluß zu.
    »Ich angle nicht«, erwiderte ich.
    Sie sah mich an. »Nein?«
    »Es mag ungeheuer beruhigend sein«, sagte ich, »aber was mach’ ich, wenn ich tatsächlich

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