Unser Doktor
einen Fisch an der Angel habe? Da beginnt das Problem.«
»Nun, er hängt halt an der Angel«, sagte sie leichthin.
Ich wußte, ich hätte nicht halten sollen. Jeder Satz bekam einfach eine verborgene Bedeutung.
»Es riecht aus dem Boden heraus«, sagte sie, »wie teilt sich so etwas mit? Daß man die Kraft spürt, die dann bald so tausendfältig da ist. Sehen Sie die Weiden«, fuhr sie fort und zeigte mit der Hand, »dieses weiche Geäst. Im Winter ist das kalte Grafik, und jetzt ein lebendiges Muster.«
Sie lächelte mich an. »Haben Sie einen Blick dafür?«
»Offen gestanden — «, sagte ich.
»Sie haben ihn nicht.«
Sie brachte es tatsächlich fertig, daß ich mich genierte, als sei da wirklich ein Mangel festgestellt.
»Als Kind bin ich den Fluß mit dem Faltboot entlanggefahren. Natürlich im Sommer. Dann hat er zwar wenig Wasser, und manchmal mußte man das Boot tragen. Aber es war sehr schön«, erzählte sie versonnen.
Ihre Stimme hatte einen leichten, schwebenden Klang. »Es war abenteuerlicher als ein Urlaub in Westerland«, lächelte sie. Sie drehte sich um, setzte sich auf die niedrige Brüstung, ohne auf ihr Kostüm Rücksicht zu nehmen. Mit einer Fußspitze berührte sie den Boden, der andere Fuß schaukelte leicht.
Sie sah mich an, und ich spürte ihre Begierde plötzlich. Es war, als brenne sie. Ihre Beherrschung gestattete ihr nicht, mehr als nur einen Hauch davon zu zeigen.
»Was machen Sie hier?« fragte sie.
»Nichts. Es ist blinder Zufall, daß ich in diese Gegend verschlagen wurde.«
»Glauben Sie an Zufälle?«
»Es muß sie wohl geben«, sagte ich.
»Ja, es ist eine schwierige Frage, und ich finde sie ziemlich wichtig. Es ist eine von den Fragen, die man herauszieht, und es hängen wie an einer Kette eine ganze Menge anderer Fragen daran.«
Sie legte ihre Hand auf ihr Knie. Es war eine fast gemeine Bewegung, als wolle sie meinen Blick darauf lenken. Sie trug hauchdünne Strümpfe, und ihr Knie war sichtbar. Sie sah mich fragend an, dann senkte sie plötzlich den Blick, und es war, als falle es wie Schatten über ihr Gesicht.
Sie stand brüsk auf.
»Ja«, sagte sie, »ich muß fahren, sie erwarten mich zu Mittag.«
Sie gab mir nicht die Hand, sie ging, ohne sich umzusehen, an ihren Wagen.
Sie fuhr davon, und ich blieb zurück. Ich sah auf den Fluß hinunter, in dem es Forellen geben sollte. Ich hatte den Wunsch, eine Zigarette zu rauchen, einfach, um einen anderen Geschmack zu bekommen.
Der weiße Wagen war längst verschwunden, als ich mein Auto bestieg und ebenfalls abfuhr.
Als ich in Bredersdorf ankam, war der Doktor gerade mit der Sprechstunde fertig.
Seine Frau saß am Schreibtisch, der mit Papieren überladen war.
Der Doktor kam ins Zimmer. Er hatte die Wickelgamaschen schon angelegt.
»Wieder zurück?« fragte er und ging gleich ans Telefon. Dort lag ein Zettel, den er prüfend besah. Dann malte er Zahlen hinter die einzelnen Adressen.
»Ich stelle meine Tour zusammen, meine tägliche Generalstabsarbeit.«
Er nahm mich wieder mit. Fast so, als sei es schon selbstverständlich.
Er fuhr selbst.
»Es geht mir wieder ausgezeichnet«, sagte er, »haben Sie die kleine Gerda gut abgesetzt?«
»Ja, ich habe die Lektion begriffen.«
Er sah mich unschuldig an. »Welche Lektion?«
Ich lachte. »Sie wissen genau, was ich meine. Sie wollten mir irgendwas vorführen. Wahrscheinlich, daß es sogar einem Kind gelingt, sein Schicksal zu meistern.«
»Ah«, sagte er mit gewisser Impertinenz, »das kann man natürlich auch sagen. Es ist der nächstliegende Eindruck, ich weiß.«
Er sah mich von der Seite an und lächelte: »Erwachsene machen da immer einen Fehler. Sie sehen so ein Kind, und ihr Herz krampft sich zusammen vor Mitleid. Sie schütten ihre Trauer über das Kind aus, und meistens gelingt es ihnen, es davon zu überzeugen, daß es bejammernswert ist.«
Er sprach langsam, als wolle er mir Zeit geben, ihn genau zu verstehen. »Denn so ein Kind weiß das gar nicht. Es hat seinen Anteil am Leben, ob mit gesunden oder kranken Beinen. Genau den gleichen, vollen Anteil wie jeder andere.« Er schüttelte den Kopf. »Die Willenskraft der kleinen Gerda wollte ich Ihnen nicht vorführen.«
Er lachte: »Aber das ist natürlich wieder etwas, was Erwachsenen imponiert.« Er wurde leiser. »Nein, ich wollte Ihnen zeigen, wie fest sie im Leben steht.« Er sah mich ehrlich verwundert an: »Das hat gar nichts mit ihren Füßen zu tun.«
»Aha«, murmelte ich.
»Sie frißt
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