Unser Doktor
ihrem Mann und fragte: »Was ist?«
» Fahrenbusch «, murmelte er, dann ging er hastig, ohne sich zu verabschieden. Wir hörten kurz darauf seinen Wagen losfahren.
Helga sagte: »Ich habe meinen Vater nie betrunken gesehen, Er hat einfach keine Zeit, mehr als ein Glas zu trinken.«
»Sie werden wahrscheinlich auch nicht Medizin studieren?« fragte ich das Mädchen.
Sie lachte nur und zeigte ihre weißen Zähne.
»Ich werde was mit Mode zu tun haben«, sagte sie, »ich ziehe mich gerne gut an.«
Trocken setzte ihre Mutter hinzu: »Aber darunter versteht sie nicht etwa Schneiderin. Zum Nähen fehlt ihr die Geduld.“
»Überhaupt«, sagte das Mädchen, »eine Frau wird geheiratet. Wenn sie dabei aufpaßt, hat sie keinen Beruf nötig.«
»Das sind Ansichten, was?« meinte die Mutter.
»Nur«, fuhr das Mädchen nachdenklich fort, »wenn ich mich verliebe — «
»Tust du das?« unterbrach die Mutter sie erschrocken.
»Ja«, sagte das Mädchen fast verwundert, »und das Komische ist, immer in Leute, die nichts sind.«
Das Gespräch wurde leicht und oberflächlich. Ich ertappte mich dabei, daß ich in Gedanken bei dem Doktor war, den die Nacht verschlungen hatte.
Die Kinder gingen schlafen, und ich war mit der Frau des Doktors allein.
Sie sagte leise: »Sie denken auch daran?«
»An Ihren Mann, ja«, sagte ich. »Wie selbstverständlich er seinem Auftrag gehorcht.«
Sie lächelte: »Nur wer seinem Auftrag gehorcht, ist wirklich frei.«
Sie sah mein etwas verwundertes Gesicht und setzte hinzu: »Das ist nicht von mir. Wir fanden diesen Satz einmal in einem Arztkalender. Dieser Satz erbitterte uns — weil er richtig ist.«
Ihre Stimme wurde ganz leise.
» Fahrenbusch ist ein alter Freund unseres Hauses. Ihm gehört die Druckerei in Groß-Teppen. Er war oft hier. Er saß da, wo Sie jetzt sitzen. Er hat uns sehr geholfen, als wir vor siebzehn Jahren hierherkamen. Wir bewohnten damals ein Hinterzimmer im Gasthaus. Er kam, stellte sich vor, besah schweigend, wie wir wohnten und sagte dann: >So wohnt man nicht.< Ohne seine Hilfe hätten wir es hier sehr schwer gehabt.«
»Er ist krank?«
Sie atmete tief auf, ihre Stimme klang bedrückt. »Er hat Krebs. Vor etwa anderthalb Jahren kam er zu meinem Mann und ließ sich untersuchen. Er sagte damals: >Ich weiß eigentlich nicht, warum ich zu dir komme. Ich habe Schmerzen, aber das bedeutet sicher gar nichts. Ich bin so unverschämt gesund, daß ich mich fast geniere.< Mein Mann untersuchte ihn und stellte Lungenkrebs fest.«
»Hat er es ihm gesagt?«
»Nein. So etwas sagt er nie.«
»Auch einem Freunde nicht?«
»Niemandem. Nicht seinem Feind und nicht seinem Freund. Die Wahrheit kann niemand ertragen. Es hieße die Totenglocke bei Lebzeiten hören. Das ist zuviel verlangt von einem Menschen.«
»Was sagte er ihm?«
»Er gab ihm eine harmlose Erklärung. Er sagte: >Du bist wirklich unverschämt gesund, bis auf eine Kleinigkeit, die wir behandeln müssen.< Und Fahrenbusch sagte: >Aber laß mich nicht durch deinen Warteraum gehen. Die Leute denken sonst wirklich, jetzt hat es den auch erwischt.< Mein Mann war sehr erschüttert. Er kam zu mir und sagte es mir: >Hubert hat Krebs.<«
»Aber er lebt noch.«
»Ja. Mein Mann ließ damals seine Frau kommen. Er sagte ihr die volle Wahrheit. So was ist ganz schrecklich. Sie müssen bedenken, daß wir freundschaftlich miteinander verkehrten. Sie waren bei uns wie zu Hause. Sie besuchten uns schließlich jeden Sonntag. Vera Fahrenbusch war fassungslos. Sie bekam einen richtigen Nervenzusammenbruch. Und mein Mann gab ihr eine Spritze zur Beruhigung. Er sagte: >Du darfst es ihm nicht sagen, und du darfst es ihm nicht zeigen. Du mußt so natürlich sein wie vorher. Er darf einfach nichts merken, ich habe dir die Wahrheit gesagt, weil du sie wissen mußt.< Das Gespräch ging über Stunden, bis Fahrenbusch anrief, ob seine Frau bei uns sei. Er kam dann selber rübergefahren. Ich werde nie vergessen, wie mein Mann sie beschwor. Er sagte: >Geh ins Badezimmer, wasch dein Gesicht.< Zu mir sagte er: >Gib ihr Puder, Lippenstift.< Als Fahrenbusch kam, saß sie da, heiter und schön. Sie liebte ihren Mann sehr, und wer so liebt, kann sich auch verstellen.«
»Großer Gott«, sagte ich, »das muß eine Szene gewesen sein.«
»Ja, er blieb nämlich, es war inzwischen spät abends geworden, er wollte Bridge spielen. Es war die schlimmste Bridgepartie meines Lebens. Vera spielte unaufmerksam, und ihr Mann machte ihr Vorwürfe: >Was
Weitere Kostenlose Bücher