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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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mit der Doktor Färber zuhörte.
    Automatisch nahm seine Hand den Bleistift, rückte den Notizblock zurecht.
    »Ja«, sagte er, »ich komme sofort.«
    Wir fuhren gleich los.
    Ich hatte ihn gefragt: »Nehmen wir meinen Wagen?«
    »Nee«, hatte er trocken geantwortet, »ich will mich daran gar nicht erst gewöhnen. Ein Landarzt, dessen Hintern zu stark gefedert wird, verliert den Kontakt mit der Straße, dann mit dem Land und schließlich mit den Menschen.«
    So ratterten wir also mit seinem Volkswagen los.
    Ich war sonderbarerweise in guter Laune, für die es eigentlich keinen Grund gab. War es die Begegnung mit Ursula? War es — im Zusammenhang damit — eine eigene Erfahrung, eine Erfahrung über mich selbst, die ich gemacht hatte und die mich mit Erwartung erfüllte?
    Erwartung, das war es wohl. Aber was erwartete ich?
    Ich war plötzlich schuldbewußt. Wir fuhren zu Menschen, die Hilfe brauchten, und ich hatte Lust zu pfeifen.
    Der Doktor grinste mich an, als kenne er meine Stimmung.
    »Wohin geht es, Doktor?«
    Ich wollte ihn ablenken. Ich wollte keinesfalls mit ihm über meine Stimmungen reden.
    »Ein Unfall«, sagte er kurz.
    Wir hielten vor einem Neusiedlerhof, weit hinter Mierisch -Land.
    Das Gebäude war noch ziemlich neu, in trockener, unschöner Sachlichkeit aufgeführt, kein gewachsenes Bauernhaus, dazu fehlten einfach hundert Jahre.
    In der guten Stube lag ein Mann auf dem Sofa.
    »Na, Ernst«, fragte der Doktor, »was hast du gemacht?«
    Der Mann, er war knapp über Dreißig, grinste unruhig.
    »Es ist Quatsch, daß sie dich geholt haben, Doktor«, sagte er, »aber ich konnt’s Maria einfach nicht ausreden.«
    Neben ihm stand seine Frau und schimpfte: »Du lagst da wie tot. Soll ich da keinen Arzt holen?«
    Der Doktor beugte sich über den Mann. Er hatte Verletzungen am Knie, eine Wunde über dem Auge.
    »Was ist passiert?« fragte der Doktor.
    »Ich bin in den Graben gefahren«, antwortete der Mann, »mit dem Trecker. Der fiel um und auf mich drauf.«
    »Du hast getrunken?«
    »Ja«, sagte der Mann, »rede mal einer mit einem Bauern hier über ein Stück Land, das man ihm abkaufen will. Da muß man trinken.«
    »Du bist betrunken.“
    »Ich war es«, murmelte der Mann. Auf seiner Stirn standen feine Schweißtropfen. »Jetzt bin ich es nicht mehr.«
    »Du bist voll wie eine Haubitze«, stellte der Doktor fest und untersuchte den Mann weiter.
    »Hast du Schmerzen im Leib?« fragte der Doktor.
    »Laß mich in Ruh«, murmelte der Mann, »es war ganz verkehrt, daß Maria dich geholt hat. Wegen der paar Schrammen. Die Leute werden fragen, warum du hier bist, und dann hab’ ich plötzlich die Polizei auf dem Hals. Weißt du, was das heißt?«
    »Ja«, sagte der Doktor, »sie werden dir den Führerschein wegnehmen, und du hast einen neuen Trecker.«
    »Der ’ne Menge Geld gekostet hat«, fügte der Mann hinzu, »und den ich brauche, den ich jetzt im Frühjahr brauche.«
    »Du kannst die Pferde nehmen«, sagte die Frau.
    »Pferde«, rief der Mann verächtlich, »und hab’ ’n Trecker dastehen.«
    »Wo hast du Schmerzen?« fragte der Doktor und befühlte den Leib des Mannes.
    Der schob die Hände des Doktors weg.
    »Da ist nichts. Mir tut alles weh, wenn du so willst. Das bedeutet nichts. Ich fühle mich wie gerädert.«
    Der Doktor sah ihn nachdenklich an.
    »Du mußt ins Krankenhaus, Ernst.«
    Der Mann lachte auf. »Darauf habe ich bloß gewartet. Auf so was, auf Krankenhaus.«
    »Es läßt sich nicht umgehen«, sagte der Doktor und ging schon zum Telefon.
    »Nein«, rief der Mann, »das erste, was die feststellen, ist, daß ich betrunken bin. Und dann bin ich den Führerschein los.«
    »Hör zu«, sagte der Doktor unnachgiebig, »du kannst innere Verletzungen haben, und die können sehr schlimm sein.«
    »Ich fühle mich ganz wohl«, antwortete der Mann störrisch, »ich bin nur zerschlagen, das ist alles.«
    Aber der Doktor telefonierte nach dem Krankenwagen.
    »Verdammt, geh«, schrie der Mann, dem man nun anmerkte, daß er noch betrunken war. »Du kriegst dein Geld schon — «
    »Auf die paar Mark bin ich gerade scharf«, grinste der Doktor.
    Aber der Mann ließ sich nicht beruhigen. »Ich kann mir auch einen anderen Arzt nehmen, und wenn ich ihn dreißig Kilometer fahren lasse. Der muß ja kommen, den kann ich mir ja aussuchen.«
    »Das kannst du«, sagte der Doktor trocken.
    »Du hast keine Ahnung«, schrie der Mann weiter, »was der Führerschein für mich bedeutet. Ich muß vorwärtskommen, ich

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