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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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Pole menschlichen Lebens und ein weites Feld für Gefühle jeder Art.
    Ich spürte plötzlich meine Unruhe und wußte genau, woher sie kam. Ich wußte es gestern schon, aber ich hatte den Gedanken zurückgedrängt. Den Gedanken, der nur um einen Namen kreiste: Ursula. Ich fuhr langsam hinüber zur Zementfabrik.
    Ich fuhr langsam, weil ich Zeit haben wollte, um zu überlegen. Aber schließlich stand ich vor dem Wohnhaus Ursulas, ohne mit meinen Gedanken zu einem Ende gekommen zu sein.
    Ursulas Vater kam sofort aus dem Haus, als er mich sah.
    »Suchen Sie Ursula?« fragte er und sah mich fast gespannt an. »Sie ist nicht da. Sie ist — « Er hob die Schultern, »ich weiß nicht, wo sie ist. Sie fährt manchmal los und sagt nicht, wohin sie fährt. Der Frühling sei zu schön, sagte sie.«
    Er machte eine Bewegung. »Aber kommen Sie doch herein. Bitte. Sie muß gleich da sein.«
    Er führte mich ins Haus. Er war von seltsamer Unruhe erfüllt, als wisse er nicht, was er zuerst tun sollte, mich bitten, Platz zu nehmen oder für Getränke zu sorgen.
    »Sie werden keine Zeit haben«, sagte ich zu ihm.
    »Zeit?« murmelte er und lachte leicht auf, »Zeit? Das ist ein Wort, aas für mich nicht die übliche Bedeutung hat. Wenn Sie meine Arbeit meinen, die kann warten, die spielt keine Rolle, Da habe ich meine Leute.«
    Er sah vor sich hin, schüttelte den Kopf: »Das spielt wirklich keine Rolle.«
    Er hob den Blick, sah mich mit Anstrengung an. »Ich dachte mir schon, daß Sie vielleicht wieder mal herkommen. Ich hoffte es.« Er verbesserte sich. »Hoffen ist vielleicht nicht das richtige Wort.«
    »Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen«, sagte ich.
    »Sicher nicht«, murmelte er, »nicht ganz, denn — «
    Er lachte unglücklich auf. »Was trinken wir?«
    »Sagen Sie, was Sie meinten?«
    »Wollen Sie was Alkoholisches? Ich muß gestehen, mir tut Alkohol auch am Vormittag wohl.« Seine Stimme senkte sich. »Aber das hängt wohl mit meiner Verfassung zusammen.«
    »Sie meinten —?« beharrte ich.
    Langsam sagte er: »Ich liebe meine Tochter, das werden Sie sich denken können. Und diese Zeit ist schwer auszuhalten für mich.« Ganz leise: »Sie wird sterben, aber — auch mein Leben wird zu Ende sein, auf irgendeine Weise zu Ende, es wird nicht mehr den Namen Leben verdienen, das glaube ich nicht.«
    Ich sah den alten Mann nur an. Was war darauf zu sagen? »Es muß Sie nicht interessieren«, sagte er und forschte in meinem Gesicht, »es ist fast eine Belästigung, ich weiß es.«
    »Sie belästigen mich nicht damit. Sonst wäre ich nicht hier.«
    »Das stimmt« murmelte er und ließ immer noch keinen Blick von meinem Gesicht. Seine Stimme senkte sich ins fast Demütige. »Aber es könnte auch eine Art von — von Neugier sein.«
    Er hob gleich die Hand: »Nehmen Sie es mir nicht übel.«
    »Nein«, sagte ich, »ich verstehe Sie.«
    »Ich habe es angenommen, erwartet, gehofft.« Er schien plötzlich von verzweifeltem Mut erfüllt zu sein. »Sie sind ein Mann von Geschmack, von Bildung, Sie werden vielleicht begreifen, wenn — ich Ihnen einen — Vorschlag mache.«
    Er sah nicht auf, aber seine Finger bewegten sich, schlangen sich ineinander, seine Stimme verriet die große Anstrengung, die das Sprechen ihm bereitete. »Einen Vorschlag, auf den Sie so ehrlich antworten können wie Sie wollen. Ich habe nicht das Recht, Ihnen etwas übelzunehmen.«
    »Einen Vorschlag?«
    »Ja. Sie bringen meiner Tochter seit einigen Tagen ein gewisses Interesse entgegen?«
    Er sah mich aufmerksam an, fast atemlos. Ich nickte: »Ja.«
    Er lächelte schwach: »Ja sagen Sie. Das ermutigt mich, Ihnen etwas zu sagen, was ich mir seit Tagen überlege. Meine Tochter hat nicht mehr viel Zeit.«
    »Ich weiß«, sagte ich rauher als beabsichtigt. Aber seine Stimme quälte mich einfach.
    »Es sollte nicht so zu Ende gehen«, sagte er leise, »nicht in dieser Einsamkeit, die ich ihr nicht nehmen kann.«
    Er sah mich an, ein völlig gebrochener Mann, ein Mann mit der Stimme eines Kindes, das um etwas bettelt, nicht nur mit Worten, mit den Augen, mit den Gesten der Hand.
    »Ich weiß nicht, ob Sie das wollen, ob Sie das können, ob Sie die Kraft dafür haben und die Zeit.«
    »Ich begreife Sie.«
    »Ihrem Gefühl einen Inhalt geben, einen Gegenstand sozusagen.«
    Er wurde noch leiser: »Lieben Sie sie!«
    Ich starrte ihn an. Mein Herz bewegte sich. Der Mann fuhr langsam fort: »Es sind nur wenige Monate. Vielleicht nicht einmal die. Ich würde viel darum

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