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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Kinder längst selbstverständlich ist, dass das Denken anderer von dem ihren verschieden ist, bei der False-Belief-Aufgabe noch immer auf den falschen Ort zeigen, als gingen sie von der Annahme aus, jeder wisse das Gleiche wie sie, nämlich wo sich die Schokolade tatsächlich befindet. 99,122
    Tatsächlich können das manchmal selbst erwachsene Autisten nicht erkennen, wie wir im Falle von Jerome sahen, dem Physiker, der dachte, nur weil er es wisse, müssten auch andere Menschen wissen, dass sich in einer bestimmten, ursprünglich für dänische Kekse bestimmten Dose Buntstifte befänden.
    Aus diesen Forschungsdaten können wir schließen, dass un sere Fähigkeit zum Verständnis dessen, was in anderen Menschen vor sich geht, flexiblen Zugriff auf zwei einander ergänzende Wege hat. Der eine beruht auf Simulation und liefert uns ein intuitives Bauchgefühl für das, was in anderen vor sich geht, kann aber auch in expliziteres Denken übergehen, welches das Verhalten anderer Menschen im Spiegel unserer gemeinsamen Schaltkreise betrachtet. Auf diesem Weg können intuitive Erkenntnis und Denken Hand in Hand gehen – eine Verbindung, die von höchster Bedeutung für Liebesbeziehungen ist. 123 Der andere, abstraktere Weg hilft uns bei zwischenmenschlichen Unterschieden, ist aber weniger vielfältig und entwickelt sich später im Leben. Die beiden Wege ergänzen sich: Der eine unterdrückt den anderen, je nachdem, für wie ähnlich wir den Menschen halten, mit dem wir es zu tun haben. Diese beiden Facetten der sozialen Kognition setzen in ihrer Kombination das ganze Vermögen sozialer Kompetenz frei.
    Ich lerne, was du lernst
    Von anderen zu lernen, ist die sicherste und wirksamste Methode zum Erkenntnisgewinn, und der moderne Mensch hat diese Fertigkeit zur Perfektion entwickelt. Während die meisten Tiere auf sehr spezifische Lebensräume eingeschränkt sind, hat der Mensch die Welt kolonisiert und gelernt, auch in unwirtlichsten Umwelten zu leben. Die Entdeckung der für das Handeln zuständigen Spiegelneuronen hat für das Verständnis des neuronalen Substrats dieser Fertigkeit eine sehr wichtige Rolle gespielt. Würde einer von uns allein in der Arktis ausgesetzt, stürbe er mit hoher Wahrscheinlichkeit. Ein dort geborener Inuit hätte keine Schwierigkeiten, weil er von den Mitgliedern seiner Gruppe lernen könnte, zu überleben. Wenn er sieht, wie sein Vater eine Robbe mit einem Speer erlegt, aktiviert sein Spiegelsystem die entsprechenden motorischen Programme: ein Loch ins Eis schlagen, stillstehen, warten und den Speer auf die Robbe werfen. Der Umstand, dass sein Gehirn diese Bewegungsfolge aktiviert hat, wird ihm eines Tages ermöglichen, selbst eine Robbe zu erlegen. Spiegelneuronen statten ihn mit der Fähigkeit aus, eine beobachtete zielorientierte Handlung (hier: eine Robbe mit dem Speer erlegen) in ein motorisches Programm umzuwandeln, das ein ähnliches Ziel erreicht.
    Eine nur auf Spiegelneuronen beruhende Erklärung ist jedoch problematisch. Ständig sehen wir, wie Menschen handeln, mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich. Allein auf Spiegelneuronen vertrauend, würden wir die erfolgreichen und erfolglosen Handlungen anderer gleichermaßen mitempfinden. Natürlich ist das nicht der beste Ansatz zum sozialen Lernen. Wenn wir sehen, wie jemand etwas tut und damit ein wünschenswertes Ergebnis erzielt, sollten wir dieses Verhalten lernen, doch wenn das Ergebnis belanglos ist, lohnt sich das Lernen nicht. Führt es zu einem sehr unerwünschten Ergebnis, sollten wir uns zwar an die Handlung erinnern, aber nur, um sicherzugehen, dass wir sie nicht ausführen.
    Der Psychologe Burrhus Frederic Skinner von der Harvard University hat uns nachdrücklich vor Augen geführt, wie formbar Verhalten ist, indem er zeigte, dass bei allen höheren Tieren – von den Insekten bis zum Menschen – die Häufigkeit eines Verhaltens zunimmt, wenn das Verhalten Belohnung auslöst, und abnimmt, wenn es Bestrafung hervorruft. Mit Hilfe dieser Mechanismen lernen wir, was vorteilhaft und was nachteilig für den Organismus ist. Beispielsweise müssen wir als Kinder schmerzhaft erleben, dass die Berührung einer heißen Herdplatte unangenehm ist. Für Erwachsene ist schon der bloße Gedanke daran schmerzhaft und die Ausführung der Handlung daher unwahrscheinlich.
    Diese Lernprozesse finden im Gehirn statt, weil Belohnung und Bestrafung die Freisetzung von Acetylcholin und Dopamin regulieren. Diese Neurotransmitter teilen dem

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