Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Kontrollpersonen im Film gesehen haben. Mit seiner Zustimmung schlägt sie ihm auf die Hand, damit er einen leichten Schmerz empfindet, stößt seine Hand weg, damit er sich zurückgewiesen fühlt, und streichelt die Hand sanft. Nach dem Experiment waren die meisten Psychopathen unbeeindruckt von dem Experiment: »Es war blöd, langweilig«, sagte einer später zu Alisson Abbott, meiner Lieblingsjournalistin bei der Zeitschrift Nature , in der über meine Studie berichtet wurde. Psychopathen begreifen nicht, dass unsere kleinen Filmchen irgendetwas mit der brutalen Gewalt zu tun haben, die so unselig häufig in ihrem Leben auftaucht. Trotzdem erwies sich das Experiment als Erfolg. Während die Psychopathen die Filmsequenzen sehen, aktivieren sie die Hirnregionen, die an der Ausführung eigener Handlungen und der Empfindung eigener Leiden und Freuden beteiligt sind – unter anderem SI , SII , Insel und prämotorischen Kortex –, in geringerem Maße als altersangeglichene Kontrollpersonen ohne psychopathische Merkmale. Interessanterweise war ihre Hirnaktivität in diesen Regionen zwar auch etwas reduziert, während sie ähnliche Zustände erlebten – als Harma sie im Scanner schlug oder streichelte –, doch der Unterschied bei diesen unmittelbaren Erfahrungen war nicht so groß wie beim Anblick von Freud und Leid anderer. Daher zeigen unsere Ergebnisse, dass ein Mangel an Empathie bei dem, was andere Menschen tun und fühlen, tatsächlich ein wesentlicher Aspekt der Psychopathie sein könnte. Es fällt auf, dass die Antworten, die unsere psychopathischen Versuchspersonen beim Interpersonal Reactivity Index ( IRI ) von Davis (vgl. Anhang) gaben, im Gegensatz zu den Ergebnissen der Gehirn-Scans den Eindruck erweckten, wir hätten es mit unschuldigen Lämmern zu tun, die so empathisch sind wie Sie und ich. Es ist bekannt, dass Psychopathen gerissen sind und Fragebogen so beantworten, wie es ihrer Meinung nach für eine frühzeitige Entlassung am günstigsten ist. Doch die funktionelle Bildgebung des Gehirns offenbart, was die schriftlichen Antworten verheimlichen.
Könnte man unser Experiment, da es doch aufschlussreicher als Fragebogen zu sein scheint, nicht auch vor Gericht verwenden, um festzustellen, ob ein Angeklagter ein Psychopath ist oder nicht? Gegenwärtig wäre das unmöglich. f MRT ist ein sehr indirektes Maß für Gehirnaktivität. Wie in den Kapiteln zuvor gesehen, verändert neuronale Aktivität den Blutfluss, der seinerseits das Magnetfeld des Scanners um eine Winzigkeit verändert. Doch abgesehen von der Reaktion des Gehirns auf unsere Reize beeinflussen noch viele andere Faktoren die f MRT -Messung – Gehirntemperatur, Atmung, Kopfbewegungen, sogar Tagträumen und vieles mehr. Alle diese Einflüsse erzeugen ein Rauschen, das häufig die tatsächlich durch die Reize ausgelöste Hirnaktivität eines einzelnen Teilnehmers überlagert. Wie man einem Gesprächspartner auf einer lauten Party einen Satz durch häufige Wiederholung schließlich doch noch verständlich machen kann, lässt sich das Rauschen im Scanner überwinden, indem man die Hirnaktivität vieler Patienten misst und die Ergebnisse mittelt. Mit f MRT vermögen wir zu messen, dass das psychopathische Gehirn im Durchschnitt weniger empathisch ist als das unsere, aber wir können nicht mit der Zuverlässigkeit, die vor Gericht verlangt wird, angeben, ob ein einzelner Patient psychopathisch ist oder nicht. Viele Forschungszentren, einschließlich des Netherlands Institute for Neuroscience in Amsterdam, an dem meine Forschungsgruppe und ich demnächst unsere Arbeit fortsetzen werden, investieren daher in neuere Scanner-Generationen, die eine rauschärmere Messung der Gehirnaktivität ermöglichen. Eines unserer Ziele für die Arbeit mit diesen neuen Scannern wird die Diagnose psychischer Störungen bei einzelnen Personen sein. Bis dahin wird die PCL -R, die auf Vorstrafenregister und psychiatrischer Einschätzung beruht, das zuverlässigste Instrument zur Beurteilung der psychopathischen Charakterstruktur eines Individuums bleiben. f MRT -Experimente wie die unseren dienen nicht der Diagnose von Patienten, sondern liefern nur Erkenntnisse über die Geistesverfasssung von bereits diagnostizierten Patientengruppen.
Therapien scheinen sich bislang enttäuschend gering – wenn überhaupt – auf die Rückfallwahrscheinlichkeit von Psychopathen auszuwirken. Pharmaka helfen offenbar überhaupt nicht, und Psychopathen, die Verhaltenstherapien
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